Kolumne StadtverbessererAlt werden für Anfänger
Winterthurer Kindergartenklassen werden mit iPads ausgerüstet. Ob sie noch lernen werden, wie man etwas am Fenster abpaust oder Tinte killt?

Mit dem Älterwerden ist es so eine Sache: Weil es so stetig passiert, bekommt man es selbst nicht mit. Man fühlt sich jung, bis einen der Körper, die Kollegen oder andere Verräter unsanft ans Gegenteil erinnern. Der Stadtverbesserer, 36, entdeckte gestern im Spiegel eines Lifts sein erstes graues Haar.
Seine Büronachbarin, in ihren Vierzigern, wurde in einer Weiterbildung eingeholt. «Jemand meinte in der Runde, das diskutierte Thema interessiere die Jungen nicht», erzählt sie. «Ich widersprach: ‹Hallo, mich interessiert das sehr!› Und dann lachten alle.»
Wer sich schon als mitteljunger Mensch alt fühlen möchte, soll an seine Schulzeit zurückdenken. Wie viele wichtige Kulturtechniken sind obsolet geworden! Wann hat das letzte Mal ein Mensch etwas am Fenster abgepaust? Wer benutzt heute noch einen Tintenkiller, ein Löschblatt, die blaue Seite vom Radiergummi oder Tipp-Ex? Zugegeben, keine dieser Methoden funktionierte jemals zufriedenstellend, und wir hätten uns damals schon radierbare Stifte gewünscht.
«Kinder, die keine Schere halten können, schneiden Videos.»
Oder ein iPad. Ab nächstem Jahr gibt es dieses in Winterthur auch in der Primarstufe und sogar im Kindergarten. Schöne neue Welt! Kinder, die keine Schere halten können, schneiden dann Videos.
Der Stadtverbesserer denkt an seinen Gymi-Kameraden, der damals auf seinem Taschencomputer Franz-Voci speichern konnte und damit schon als sehr modern und am Puls der Zeit galt. Ob der seine grauen Haare wohl noch zupft oder schon färbt?
Michael Graf ist Leiter des Ressorts Stadt Winterthur beim «Landboten», für den er seit 2005 schreibt. Er ist diplomierter Gymnasiallehrer für Englisch und Geschichte.
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