Kolumne TribüneAm Glascontainer überführt
Unser Kolumnist trifft an der Sammelstelle nähere und fernere Bekannte, die schnell ihre Schlüsse ziehen.

Es wäre lobenswert, würde ich die Plastikboxen mit dem Glasleergut des Haushalts häufiger zum Glascontainer transportieren. So aber warte ich, bis alle Boxen randvoll sind. Was dann folgt, habe ich mir selbst zuzuschreiben: An einem Samstagvormittag lade ich die Glasberge neben dem Glascontainer ab und beginne das Leergut ordentlich getrennt in die Einwurflöcher zu stecken.
Da hält ein Familienkombi. Ein Vater und sein halbwüchsiger Sohn ziehen zwei Holzkisten mit Leergut heraus. Das ist schnell entsorgt. Ich bin währenddessen noch immer damit beschäftigt, die dritte Plastikbox zu leeren. «Ja, da kommt was zusammen, seit man wegen Corona immer zu Hause ist», sagt der Vater verständnisvoll und lächelt. Sein Sohn verzieht derweil keine Miene.
Halt, nein, will ich sagen, aber da setzt er schon nach.
Kaum sind Vater und Sohn weg, hält ein Bekannter aus der Nachbarschaft. Auch er hat nur ein kleines Kistchen voller Leergut für den Container. Mit Blick auf meine Glassammlung sagt er ironisch: «Respekt, du ziehst was weg in diesen Zeiten!» Halt, nein, will ich sagen, aber da setzt er schon nach: «Ist ja auch kein Wunder, dass man in diesen Zeiten abends eine Flasche köpft und etwas mehr Durst hat.» Endlich entgegne ich: «Das ist das Leergut vom ganzen Winter, ich hätte schon viel früher herkommen müssen.» Er winkt lachend ab und ist weg.
Schliesslich erscheint eine Frau, die ich von häufigeren Begegnungen in der Innenstadt kenne, ohne zu wissen, wie sie heisst. Leider kennt sie mich ganz genau: «Aha, Herr Engelsing, sind Sie unter die Weinstubenwirte gegangen?» Das hat mir noch gefehlt: Der Familienvater hält mich für einen Frusttrinker, der Bekannte für einen gewaltigen Schluckspecht, und die Dame aus der Stadt kann sich angesichts der grossen Glasmenge nur eine professionelle Herkunft des Leerguts vorstellen.
Zu Hause nehme ich mir vor, das Leergut häufiger wegzubringen.
Ich bin erledigt. Dass die Plastikboxen überwiegend mit leeren Honig-, Konfitüre-, Erbsen-, Mirabellen-, Steinpilz- sowie Zitronen- und Tomatensaftgläsern angefüllt sind und die leeren Glashüllen italienischer, spanischer, Schweizer und deutscher Rebengewächse nur einen (wenn auch ansehnlichen) Teil ausmachen: Das interessiert keinen. Ab sofort bin ich der Typ, der sechs grosse Plastikboxen voller Leergut zum Container schiebt. Jede Woche, randvoll.
Zu Hause nehme ich mir vor, das Leergut endlich häufiger wegzubringen. Und dann hole ich mir zum Trost eine Bügelflasche naturtrüben Saft von Möhl. Die immerhin ist eine Pfandflasche.
Tobias Engelsing leitet die Städtischen Museen Konstanz und kocht gerne.
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