Chemiewaffen in Syrien Assad persönlich hat den Einsatz von Giftgas befohlen
Das syrische Regime verbirgt systematisch verbotene Kampfstoffe vor internationalen Kontrollen. Ein neuer Bericht zeigt, wer für Einsatz und Entwicklung zuständig ist, und nennt namentlich 150 Verantwortliche.

Der Name hört sich unverdächtig an: Zentrum für wissenschaftliche Studien und Forschung, besser bekannt unter der englischen Bezeichnung Scientific Studies and Research Center (SSRC). Dahinter allerdings verbirgt sich der Kern des Chemiewaffen-Programms des syrischen Diktators Bashar al-Assad.
Am Montag haben die in New York ansässige Open Society Justice Initiative und das 2014 in Berlin von dem Syrer Hadi al-Khatib gegründete Syrian Archive den bisher umfassendsten Bericht zu Struktur und Führungspersonal der Einrichtung und ihrer engen Verbindung mit dem Präsidentenpalast an die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) sowie an eine Untersuchungskommission der UNO und die Strafverfolgungsbehörden in mehreren Ländern übergeben. Er nennt fast 150 Verantwortliche des SSRC mit Namen.
Kampfstoffe auch nach Beitritt zur Konvention versteckt
Das knapp 90-seitige Dokument liegt dieser Zeitung vor. Es dokumentiert detailliert, wie Syriens Regime auch nach dem Beitritt zur Chemiewaffen-Konvention im Herbst 2013 Ausrüstung und Chemikalien zur Produktion von Kampfstoffen wie Sarin vor der OPCW versteckt hat. Diese seien der 105. Brigade der Republikanischen Garden übergeben worden, einer Armee-Eliteeinheit, kommandiert von Brigadegeneral Talal Makhlouf, der eng mit der Familie Assad verbunden ist.
Ziel der Autoren ist es unter anderem, der OPCW Hinweise für weitere Untersuchungen zu liefern, nachdem das Regime bislang den Aufforderungen zur Aufklärung durch die Inspektoren nicht nachgekommen ist. «Unsere Nachforschungen zeigen, dass Syrien weiterhin ein robustes Chemiewaffen-Programm unterhält», sagt Steve Kostas von der Justice Initiative. Die Mitgliedsstaaten der OPCW müssten das syrische Regime zur Rechenschaft ziehen für die fortgesetzte Verletzung der Chemiewaffen-Konvention. Auch sollten die Staaten ihre Bemühungen verstärken, die Verantwortlichen strafrechtlich zu belangen. In Deutschland etwa haben entsprechende Verfahren bereits begonnen.
Strafverfolgungsbehörden sollen Zeugen vernehmen und Beweise sichern, sodass diese in der Zukunft in Prozessen verwendet werden können – sollten Beschuldigte ausserhalb Syriens gefasst werden oder im Raum stehende Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eines Tages in Syrien selbst verfolgt werden.
Russland und Syrien bestreiten alles
Das syrische Regime bestreitet nach wie vor, über Chemiewaffen zu verfügen oder diese eingesetzt zu haben. Diese Position unterstützt auch Russland, der wichtigste Verbündete Assads. Dagegen hat die OPCW den Einsatz von Sarin in mehreren Fällen nachgewiesen und die Regierungstruppen von Präsident Bashar al-Assad dafür verantwortlich gemacht.

Basierend auf zweijährigen Recherchen und Interviews mit etwa 50 Ex-Mitarbeitern des SSRC und Regierungsvertretern, zeichnet der Bericht nach, wie die Abteilungen des auf fast 60 Standorte in Syrien verteilten Instituts an der Produktion und dem Einsatz von Chemiewaffen beteiligt sind. Etliche sind bisher zumindest nicht öffentlich bekannt und von Syrien gegenüber der OPCW nicht deklariert worden.
Angriffe mit dem Präsidentenpalast koordiniert
So vollziehen die Autoren nach, wie das Institut bei der Herstellung von Sarin eine zentrale Rolle spielt. Die Abteilung 450 mit dem wichtigsten Standort Jamraya bei Damaskus ist demnach verantwortlich dafür, den Nervenkampfstoff herzustellen und in Munition abzufüllen. Der Befehl für den Einsatz geht laut dem Bericht vom Präsidenten persönlich aus, das Kommando führe General Bassam al-Hassan, Berater des Präsidenten und verantwortlich für die Sicherheit des SSRC.
Der einflussreiche Luftwaffen-Geheimdienst und die Republikanischen Garden sind demnach für den Transport der befüllten Munition und die Planung der Einsätze verantwortlich, und sie koordinieren die Angriffe mit dem Präsidentenpalast. Auch ist das Institut in den Bau improvisierter Raketen und Fassbomben verwickelt, mit denen hundertfach Chlor auf Rebellengebiete geschossen wurde. Zudem enthält der Bericht neue Informationen zu einem Angriff mit Sarin und Chlor auf den Ort Ltamenah im März 2017, den die OPCW derzeit untersucht.

Fehler gefunden?Jetzt melden.