Konsum in WinterthurAuf nachhaltiger Einkaufstour mit einer Aktivistin
Sandra Amann engagiert sich bei Public Eye und legt viel Wert auf Nachhaltigkeit. Das macht ihr das Einkaufen nicht leichter: Wir besuchen drei Geschäfte in Winterthur.

Das Bedürfnis, nachhaltig zu konsumieren, wächst. Erwünscht sind Produkte, die weder die Umwelt, die eigene Gesundheit noch diejenige von Arbeitern gefährden. In Winterthur gibt es viele Geschäfte, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben haben. Trotzdem ist es selbst für sensibilisierte Konsumentinnen schwierig zu erkennen, wie nachhaltig ein Produkt tatsächlich ist.
Sandra Amann ist Mitglied der Winterthurer Regionalgruppe von Public Eye – ehemals Erklärung von Bern – welche für Winterthur die Broschüre «Gschiider iichaufe» erstellt hat. «Wir von der Regionalgruppe sind keine Fachexperten, aber wir beschäftigen uns jeden Tag damit, wie wir konsumieren und welche Effekte das hat», sagt sie. Auf einer Einkaufstour durch die Altstadt erzählt Amann, was es beim Griff ins Regal alles zu bedenken gibt.
«Normale Kaugummis bestehen aus Plastik und Zucker.»
Bare Ware an der Steinberggasse ist ein sogenannter Unverpackt-Laden. Sandra Amann greift nach einem Glas mit Kaugummis und scannt mit geübtem Blick die Inhaltsstoffe. «Was viele nicht wissen, ist, dass normale Kaugummis hauptsächlich aus Zucker und Plastik bestehen», sagt sie. Tatsächlich besteht die sogenannte Kaumasse meist aus Kunststoffen auf Erdölbasis. Unverdaulich und ungefährlich, aber nicht besonders umweltfreundlich.

Die Kaugummis bei Bare Ware sind aus Gummi von Gummibäumen. Für Amann ist der Fall klar: «In Untersuchungen wurde sogar schon Plastik in der menschlichen Plazenta gefunden, wir geben das unseren Babys mit.»
Tricks bei Inhaltsangaben
Amann schaut sich auch ein Glas mit Mayonnaise genauer an und nickt anerkennend, als sie das Demeter-Label sieht: «Ich bin auf einem Eierbauernhof aufgewachsen, die Legehennen dort lebten maximal zwei Jahre.» Sie lobt, dass sogar die Inhaltsstoffe des Senfes in der Mayo aufgeschlüsselt sind: Wasser, Senfkörner, Tafelessig, Meersalz, Rohrohrzucker, Gewürze. «Das ist nicht selbstverständlich, Produzenten kennen genug Tricks, um genaue Angaben zu umgehen», und tadelt den Zucker.
Je naturbelassener, desto besser gilt für Amann bei vielem: «Joghurts kaufe ich immer nature und füge selbst Früchte hinzu.» Sie stört sich an künstlichen Aromen und Etikettenschwindel. Denn auch wenn «natürliche Aromen» draufstehe, stamme der Erdbeergeschmack nicht unbedingt von Erdbeeren, sondern könne auf Basis von Holzspänen produziert worden sein. «Den Inhaltsstoffen sieht man das oft nicht einmal an.»

Fragt man Sandra Amann nach dem Ursprung ihres Interesses an Nachhaltigkeit und Politik, beginnt die Geschichte mit einer Maschinenpistole. Mit zwölf Jahren war sie als junges Gitarrentalent in ein weissrussischen Kinderkrankenhaus eingeladen. Sie bekam mit, dass im Anschluss ein wichtiger Mann – Präsident Alexander Lukaschenko, wie sich später herausstellte – eine Rede halten würde. Doch auf dem Weg in die Halle hielt sie ein Soldat auf – und schubste das Kind mit seiner Waffe aus dem Weg. «Da habe ich mir zum ersten Mal Fragen gestellt», sagt die heute 35-jährige Bildungsforscherin.
«Fermentiert hat Blumenkohl mehr Vitamine als frisch.»
Etwa die Frage, weshalb es überhaupt ein eigenes Krankenhaus für krebskranke Kinder brauchte. Die Antwort: Tschernobyl. Später ging Amann, die auf einem Bauernbetrieb in Österreich aufgewachsen ist, «containern», und fütterte ihre Wohngemeinschaft mit Lebensmitteln aus dem Abfall von Supermärkten durch. Sie lernte, wie man kiloweise Blumenkohl fermentiert und dass viele Lebensmittel dadurch sogar Vitamine dazugewinnen.
Wenn Amann heute in Winterthur für sich, ihren Partner und ihren dreijährigen Sohn einkauft, dann spielt Radioaktivität keine Rolle, Inhaltsstoffe, Verpackungen und Lieferketten dafür umso mehr.
Langsam, dafür robust gewachsen
Am Unteren Graben besuchen wir den Pflanzenladen Veg and the City. Amann lobt das Konzept, das viel Wert auf Urban Gardening in Bioqualität lege – und dass Kurse angeboten werden: «Gärten können einen auch überfordern, wenn man sich nicht gut auskennt.» Bei dem vielen Grün und Natur seien sich viele nicht bewusst, auf welche Aspekte der Nachhaltigkeit und Biodiversität man achten könne. So unterstützen sich gewisse Gemüsesorten gegenseitig und wirken sich positiv auf den Boden aus, etwa Kürbis, Tomaten und Bohnen. Andere sind eher schlechte Nachbarn wie Tomaten und Kartoffeln.
«Wir verkaufen Blumensträusse in farbigem Graspapier.»
Amann fällt direkt auf, dass die Setzlinge in den Regalen nicht in Plastik verpackt sind. Laut Geschäftsführerin Zoé Giacchetta werden auch Blumensträusse nicht durchsichtig eingepackt: «Wir bieten farbiges Graspapier an. Die Leute können gut damit leben, wenn man es ihnen erklärt.»
Ein grosses Thema sind beheizte Treibhäuser. «Wir kaufen unsere Blumen nur aus unbeheizten Treibhäusern in der Schweiz oder umliegenden Ländern», sagt Giacchetta. Diese wüchsen zwar etwas langsamer, seien dafür aber auch robuster – brauchen weniger Dünger und Pflanzenschutz. Sie nimmt einen Topf mit Rosmarin zur Hand und erklärt: «Der Strauch hier ist schon drei, vier Jahre alt. Das sieht man an den vielen Wurzeln.» Dafür könne man ihn ohne Probleme im Winter draussen lassen.

Amann freut sich derweil über eine grosse rote Spritzkanne aus Metall: «Das finde ich super! Sonst giesst man sich das Mikroplastik ja direkt ins Essen.» Die Kannen lasse Veg and the City eigens in der Türkei anfertigen, sagt Giacchetta. Plastikfrei ist der Laden aber nicht. So werden etwa Töpfe verkauft, die zu 80 Prozent aus rezykliertem Plastik bestehen. «Im Detailhandel kommen sie zudem häufig noch aus Asien», sagt Giacchetta. Sie bieten auch Tontöpfe aus Europa an, doch gerade für ältere Menschen spiele das Gewicht oft eine Rolle.
Und was kostet die Nachhaltigkeit? «Mit dem Detailhandel können wir nicht mithalten, aber wir sind nicht teurer als andere Gärtnereien auch», sagt Giacchetta. Und manchmal ist die nachhaltigste Lösung auch die naheliegendste: Statt Trockenblumen in Südamerika zu bestellen, werden bei Veg and the City unverkaufte Schweizer Schnittblumen getrocknet.
China ist trotzdem da
Die Kleider für ihren Sohn kauf Amann oft im Bärechind an der Neustadtgasse. Besonders lobt sie die Secondhand-Abteilung und dass der Laden Kleidung für frühgeborene Babys ausleiht. «Labour of Love», nennt das Geschäftsführerin Anina Keller, die den Laden mit ihrer Schwester gegründet hat: «Wir verdienen damit nichts.»

Gewinn machen sie nur mit dem Verkauf von Neuware. Und auf was achten da Kundinnen mit Nachhaltigkeitsbewusstsein? «Ob die Kleider aus der EU stammen und ob sie zertifiziert sind», sagt Keller. 70 bis 80 Prozent ihrer Waren seien nach dem Global Organic Textile Standard (Gots) zertifiziert. Aber sie hätten auch Produkte aus China im Sortiment: «Es ist fast unmöglich, alles aus China wegzulassen», sagt Keller. Sie legten jedoch Wert auf Labels, die soziale Arbeitsbedingungen garantierten und Arbeiterinnen etwa Mutterschaftsurlaube ermöglichten.
«Ein Turnschuh mit wenigen Prozenten rezykliertem Plastik ist noch nicht nachhaltig.»
Amann steuert zielsicher auf ein Regal mit Leinen-Overalls zu. Auch bei Kleidern achtet sie auf natürliche Materialien: Wolle, Leinen, Hanf, Baumwolle, am besten alles bio: «Biologischer Anbau fördert die Biodiversität und bringt robustere Pflanzensorten hervor.» Dadurch brauche es weniger Pestizide, und teils liessen sich die Pflanzen sogar regional anbauen. Gerade weil Nachhaltigkeit gross in Mode ist, lohnt sich der Blick aufs Etikett. So preise manch ein Grosshändler seine Turnschuhe als nachhaltig an, nur weil wenige Prozent des Plastiks darin rezykliert seien.

Das gute Gewissen kommt zu einem Preis: «Es gibt Kunden, die ohne mit der Wimper zu zucken 120 Franken für einen Wollpullover bezahlen. Andere erschrecken schon bei dem Preis», sagt Keller. Das könne sich nicht jede Familie leisten.
Ist es nicht vor allem furchtbar anstrengend, beim Einkaufen so viele Kriterien vor Augen zu haben? Doch, manchmal spüre sie schon Ohnmachtsgefühle, weil es so viel zu berücksichtigen gebe, sagt Amann. «Aber man kann auch einfach bei einer Sache anfangen und sich nur damit auseinandersetzen. Etwa das nächste Nudelsieb nicht aus Plastik kaufen.»
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