Baby im Temporausch
Nach dem Erfolg von «Giulias Verschwinden» (2009) zeigen Christoph Schaub und Martin Suter ihren zweiten Film: Die Protagonisten in «Nachtlärm» sind eine Generation jünger –und mit den Nerven am Ende.
Behandelt werden in dem neuen Film, der wiederum eine Tragikomödie ist, eine Reihe durchaus schwieriger Themen: Beziehungsstress, überforderte Eltern, Kriminalität. Der vom Regisseur Christoph Schaub und Autor Martin Suter gewählte Zugang bürgt jedoch für Amüsement und Spannung. Livia (Alexandra Maria Lara) und Marco (Sebastian Blomberg) sind zur Schlaflosigkeit verdammt, da ihr kleiner Tim ausdauernd schreit. Beruhigen lässt sich das anspruchsvolle Baby am besten mit temporeichen nächtlichen Fahrten. In einer besonders schwierigen Nacht, in der sich das gestresste Paar beständig zankt, vergisst Marco bei einem Zwischenstopp an einer Raststätte für einen kurzen Moment, den Wagen zu verriegeln. Das Undenkbare geschieht: Die Klapperkiste wird gestohlen, während Tim auf dem Rücksitz ausnahmsweise tief schläft. Dubiose Gestalten Der Ganove Jorge (Georg Friedrich) und die vergnügungslustige Claire (Carol Schuler) planen mit dem Diebesgut eine Spritztour bis nach Rom. Als sie das Baby nach einiger Zeit bemerken, sehen sie ihre nächtlichen Träume entschwinden. Tims Eltern haben da bereits ihrerseits ein Auto gestohlen und die Verfolgung aufgenommen. Der Besitzer des zweiten entwendeten Fahrzeugs (gespielt von Andreas Matti) gibt vor, Polizist zu sein, heftet sich Livia und Marco jedoch bestimmt nicht aus Mitgefühl an die Fersen. Die nächtlichen Jagden über Landstrassen sind begleitet vom Zoff der beiden Paare und vom Schreien des Kindes. Da Jorge ein Mann ist, der sich bisweilen «selber überrascht», ist Tims Leben durchaus in Gefahr. Als Verbrecher entpuppt sich auch ein vermeintlich hilfsbereiter Bünzli, zu dem die verzweifelte Livia nach einem Unfall mit Blechschaden ins Auto steigt. «Nachtlärm» nimmt eine Reihe überraschender Wendungen, als der Zuschauer bereits glaubt, das Ende absehen zu können. Die Dialoge aus der Feder von Martin Suter überzeugen ebenfalls. «Das steht in jeder Frauenzeitschrift, dass man mit einem Kind keine Beziehung retten kann», sagt Marco zu Livia zu Beginn der Nacht. «Ich lese keine Frauenzeitschriften», erwidert diese. Neuer Kassenschlager? Die Schauspieler sind allesamt hervorragend. Für die 25-jährige Winterthurerin Carol Schuler, die bereits vor zehn Jahren zur besten Schweizer Darstellerin (gemeinsam mit Andrea Guyer im Film «Lieber Brad») gekürt worden war, ist die Rolle der Claire womöglich der Durchbruch im deutschsprachigen Raum. Schuler überzeugt als Co-Star von arrivierten Schauspielern wie Alexandra Maria Lara («Rubbeldiekatz»), Sebastian Blomberg («Wer wenn nicht wir») und Georg Friedrich («Atmen»). Ihnen sei bei den Dreharbeiten insbesondere abverlangt worden, während Stunden mit «minimen Bewegungen» rasantes Fahren zu simulieren, sagte Blomberg. «Nachtlärm», der Anfang August am Festival del film Locarno auf der Piazza Grande Weltpremiere feierte, ist mindestens so unterhaltsam wie die Frührentnerkomödie «Giulias Verschwinden», für den allein in der Schweiz fast 200 000 Eintritte gelöst worden waren. Ob der neue Streifen, der demnächst auch in Deutschland und Österreich anläuft, an den Kinokassen ähnlich erfolgreich sein wird, muss sich weisen. Ein mutmasslich interessiertes Zielpublikum – Eltern von Schreikindern – dürfte für Kinobesuche zu müde sein.
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