
Kennen Sie das Lied von dem Mann, der statt einer Bratwurst ein Klavier nach Hause geliefert bekommt? Der Berner Liedermacher Mani Matter dichtete es vor einem halben Jahrhundert – und nannte es «Missverständnis».
Hätte man Matter damals erzählt, in welchem Zustand sich die Welt 2021 befindet, hätte er sich wohl gewundert. Nicht nur, dass in Zeiten des boomenden Onlinehandels falsche Lieferungen zu einem alltäglichen Problem geworden sind. Auch kommt es plötzlich vor, dass man eine Bratwurst bekommt, wenn man doch eigentlich eine Impfung bestellt hat.
Die Aktion der Thüringer Stadt Sonneberg, Impfmuffel mit einer Gratiswurst umzustimmen, brachte den Verantwortlichen einiges an Spott ein. Je stärker die Schweiz im europaweiten Impfvergleich abfällt, desto lauter werden jedoch auch hierzulande die Rufe nach positiven Anreizen.
Nun ist die Idee, die Impfung mit einem geselligen Event zu verknüpfen, sicher nicht falsch. Wer sich bisher schlicht nicht zu einer Anmeldung aufraffen konnte, fühlt sich dadurch unter Umständen motiviert. Niederschwellige Impfangebote, persönliche Einladungen oder Gutscheine können helfen, gewisse Personengruppen zu erreichen.
«Nur ehrlich ist es, auch über drohende negative Anreize zu sprechen.»
Wer die tiefe Impfrate verstehen will, muss allerdings anerkennen, wie viele andere Schattierungen es zwischen bereits Geimpften, Impfzweiflern und handfesten Impfgegnern gibt – und sich mit ihren Beweggründen auseinandersetzen.
Wo Missinformation für den Entscheid gegen eine Immunisierung verantwortlich ist, muss dieser mit Aufklärungsarbeit begegnet werden. Wo sich jemand in Kenntnis aller Fakten gegen die Covid-Spritze entscheidet, gilt es, dies in einem demokratischen Land zu akzeptieren. Eine Bratwurst nützt in beiden Fällen nichts.
Nur ehrlich ist es, auch über drohende negative Anreize zu sprechen. Eine Ausweitung der Zertifikatspflicht steht zur Debatte. Ein solcher Schritt will aber gut überlegt sein. Das Covid-Gesetz wird die zweite Referendumsabstimmung im November nur überstehen, wenn eine Mehrheit das Vorgehen der Regierung nachvollziehen kann.
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Kommentar zur tiefen Impfquote – Bratwürste lösen keine Probleme
Positive Anreize fürs Impfen mögen in gewissen Fällen sinnvoll sein. Wer die Schweizer Impfmüdigkeit besiegen will, muss aber verstehen, warum Menschen vor der Spritze zurückschrecken.