Beat Feuz im Interview«Dann kam dieser Anruf – da wurde alles etwas viel»
Der sonst so beherrschte Berner verlor in seiner grössten Stunde die Fassung. Nach der Landung in der Schweiz erklärt er seine Tränen – und ordnet den Olympiasieg ein.

Kurz vor neun Uhr morgens hat Beat Feuz wieder Schweizer Boden unter den Füssen, etwas mehr als 48 Stunden nach seinem grossen Triumph in China. Der Emmentaler reiste unmittelbar nach den Speedrennen aus Peking ab, er will die nächsten Tage bei seiner Familie verbringen. Am Flughafen Zürich gibt es diesmal keinen grossen Empfang, auf Wunsch des Athleten, aber auch wegen Corona.
In einer Lounge in der Ankunftshalle legt Feuz auf seinem Weg ins österreichische Oberperfuss aber einen Zwischenstopp für die Journalisten ein, gezeichnet von einem langen Flug, auf dem er vor allem schlief, stets mit dieser grossen Medaille um den Hals, die ihn endgültig zu einem der Allergrössten werden lässt, die dieser Sport je gesehen hat.
Wie war Ihre Rückreise?
Sobald ich im Flieger war, ging alles super. Ich war vor einem Abflug noch selten so lange im Land, sie wollten mich nicht so schnell loswerden. (lacht) Der Rücktransport war eher früh, man ist sich als Profisportler nicht daran gewohnt, bis 5 Uhr morgens wach zu bleiben – und heizen tun sie auch nicht gern am Flughafen.
Medaillengewinner dürfen jeweils ins Swiss-Cockpit, war das bei Ihnen auch der Fall?
Ich wurde mehrmals gefragt. Ich hatte aber bereits beim Hinflug die Ehre, die Landung in Peking mitzubekommen. Darum legte ich mich lieber hin, bevor ich im Cockpit noch eingeschlafen wäre.
Zwei Tage nach dem Rennen: Wie sehen Sie Ihre Goldmedaille?
Ich schätze sie sehr hoch ein. Auch die, die neben mir auf dem Podest waren, gehören zu den ganz Grossen, einer war der Älteste (Johan Clarey, Silber, Anm. d. Red.), der andere einen Tag später zum dritten Mal Olympiasieger (Matthias Mayer, Bronze), das freute mich umso mehr. Und es war ein cooles Rennen, vor allem ein faires, vor dem Wind hatte man ja am meisten Angst.
Wie haben Sie gefeiert?
Wenn ich gewusst hätte, dass ich im Super-G nach 15 Sekunden rausfliege, hätte ich noch mehr gefeiert. Aber sicher, anstossen musste man schon, lang ging es allerdings nicht. Es war erst 18.30, als ich wieder im Zimmer war, und am nächsten Tag kam das nächste Rennen.
Ist diese Goldmedaille der grösste Triumph Ihrer Karriere?
Sie gehört sicher dazu. Aber hätte ich 2017 den WM-Titel nicht geholt und wäre jetzt Olympiasieger, würde es heissen: «Jetzt fehlt dir noch der WM-Titel.» Es gehören ganz viele Dinge in die oberste Kategorie, diese Medaille zum Beispiel, aber auch ein WM-Titel, eine Abfahrtskugel, ein Sieg in Wengen, einer in Kitzbühel. Mittlerweile durfte ich all das erreichen, das ist wunderbar.
Sie sind jetzt einer von nur vier Schweizern, die jemals Abfahrtsgold geholt haben.
Es gab eine lustige Situation, drei von diesen vier sassen nämlich gerade im gleichen Flugzeug, Bernhard Russi, Didier Défago und ich. Wir haben zu dritt ein Foto geschossen und Russi meinte, er klebe Pirmin Zurbriggen noch irgendwie drauf.
Welches war in diesen Tagen Ihr schönster Moment?
Natürlich der Sieg, als ich die Medaille bekam und die Zeremonie. Aber wie man überall im Fernsehen gesehen hat, auch dieser Anruf, der dann kam, das war ein prägendes Ereignis. Ich wurde überrascht, und da wurde mir alles etwas viel.
Viele Zuschauer erlebten Beat Feuz zum ersten Mal so emotional. Ihre Nächsten auch?
Es hatte ja schon einen Grund, warum ich in ein Räumchen verschwand, ich habe nicht geschnallt, dass die Tür offen war und eine Kamera hineinfilmen konnte. (lacht) Aber solche Dinge gehören dazu, Olympiasieger wird man nicht jeden Tag, in China schon gar nicht. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet, dass ich meine Familie so schnell sehen würde.
Worüber haben Sie mit der Familie gesprochen?
Es ging gar nicht darum, was gesprochen wurde, sondern darum, dass wir einander gesehen haben, und darum, einander daran zu erinnern, was wir alles durchgemacht hatten. Es war nicht immer einfach, ich hatte auch zu kämpfen mit negativen Dingen, mit Verletzungen, wenn man sich das zusammen durch den Kopf gehen lässt, ist das schon einmalig.
Wie wichtig ist Ihre Partnerin Katrin Triendl bei Ihren Entscheiden?
Genauso wichtig wie ich. Wir sprechen zusammen alles ab, auch auf den Ski: Was macht Sinn, was nicht? Sie ist eine der grössten Stützen, beim Skifahren und zu Hause sowieso.
Worauf freuen Sie sich jetzt am meisten?
Ich freue mich aufs Nachhausekommen, die Familie zu geniessen. Es ist schon ein Vorteil, nach den Speedevents heimreisen zu können, jetzt habe ich zwei Wochen frei, bis es nach Kvitfjell geht.
Wie nutzen Sie diese zwei Wochen?
Das Skifahren rückt sicher etwas in den Hintergrund, es war intensiv. Ich war zwar nicht lange in China, aber in diesen zehn Tagen war ich doch jeden Tag auf den Ski. Es war sehr kalt und streng für den Körper. Darum macht es Sinn, etwas runterfahren zu können.
«Ich muss niemandem mehr etwas zeigen, ich habe Kitzbühel gewonnen und Gold nach Hause gebracht.»
Wengen, Kitzbühel, WM, Olympia – was fehlt noch in Ihrer Sammlung?
Jeden Klassiker habe ich noch nicht gewonnen, aber das hat auch nicht die Priorität. Ich habe dieses Jahr immer noch die Chance, um die Kugel zu fahren in der Abfahrt. In den letzten zwei Rennen habe ich meine Leistung gezeigt, darum glaube ich, habe ich eine realistische Chance, um zumindest mitzukämpfen.
Es wäre Ihre fünfte Abfahrtskugel. Wie packen Sie das an?
Genau gleich wie vorher auch. Ich muss niemandem mehr etwas zeigen, ich habe Kitzbühel gewonnen und Gold nach Hause gebracht, ich werde locker drauflosfahren können. Und dann werden wir sehen, ob es klappt.
In den sozialen Medien schrieben Sie: «Habe fertig, aber nur mit Olympia.» Und Johan Clarey fährt mit 41 noch aufs Podest.
Johan ist ein Phänomen, der unter uns Athleten den allerhöchsten Respekt überhaupt verdient. Mit 41 noch so zu performen ist Wahnsinn, und von uns kann sich das eigentlich keiner so richtig vorstellen. Ich bin ja auch schon fast 35, ich glaube nicht, dass ich in sechs Jahren noch dabei sein werde.

Kommen etwa schon Rücktrittsgedanken auf?
(lacht) Nein, nicht wirklich. Natürlich ist es immer irgendwo ein Gesprächsthema, aber ich werde das schon spüren. Das kann im Januar kommen, im Sommer, im Herbst, keine Ahnung. Bis jetzt habe ich es nicht gespürt, und solange ich Freude habe, an jedem Rennen am Start bin mit dem Gefühl, mich mit der Konkurrenz messen zu können, ist es noch kein Thema.
Ihr Teamkollege Marco Odermatt erlebte im Super-G eine grosse Enttäuschung. Wie können Sie ihm als erfahrener Athlet helfen?
Logisch, ist er nach dem Super-G enttäuscht. Aber das ist ja auch eine Enttäuschung auf hohem Niveau. Was er dieses Jahr schon erreichen durfte, soll er nicht vergessen. Wenn er das weiter so durchzieht, ist eine Medaille eine Frage der Zeit, und eine Chance hat er ja noch im Riesenslalom. Dass man nicht eine Karriere lang in jedem Rennen vorne mitfahren kann, muss auch ein Marco Odermatt lernen.
Sie waren jetzt an mehreren Olympischen Spielen. Wo ordnen Sie Peking ein?
Ich habe verschiedene Spiele erlebt. 2014 in Sotschi war ich überrascht, wie kompliziert Olympische Spiele sein können. Im Weltcup sind jeweils nur wir Alpinen, alles läuft über uns. Dann war plötzlich alles viel grösser. 2018 in Korea war es anders, weil wir Skifahrer nicht im olympischen Dorf wohnten, sondern in einem Hotel unterhalb der Skipiste. Dort fühlte es sich an wie im Weltcup. Jetzt waren wir wieder im Dorf, aber ich wusste, was auf mich zukam. Die Unterkünfte waren auch besser als in Sotschi.
Marcel Rohner startete 2017 als Praktikant in der Tamedia Sportredaktion. Seit Sommer 2019 begleitet er den Schweizer und Zürcher Fussball, spezifisch den Grasshopper Club Zürich. Im Winter berichtet er auch über Skirennen.
Mehr InfosFehler gefunden?Jetzt melden.