StadtverbessererDer Hallimasch: Held oder Habasch?
Ein Riesenpilz, der «schwarzes Gold» liefert, nimmt den Stadtverbesserer mit auf eine Achterbahn der Gefühle.

Spätestens, seit der Stadtverbesserer erstmals vom Wood Wide Web erfahren hat, landen Pilz-Mails bei ihm nicht mehr direkt im Papierkörbchen. Inzwischen weiss er, dass Pilze mehr sind als Stil mit Köpfchen am Wegrand. Diese dritte Art neben Tieren und Pflanzen ist ziemlich underground. Unter der Erde bildet sie riesige Wurzelgeflechte. Einzelne Fäden wachsen zu Geflechten zusammen. So können sie sich mitunter zur Mykorrhiza weiterentwickeln: einem teils kilometerlangen Netzwerk zwischen den Wurzeln von Bäumen und anderen Pflanzen im Wald.
So transportieren die Pilzfäden Wasser und Nährstoffe, die sie aus dem Boden lösen, aber auch Botenstoffe. Im Gegenzug liefern die Bäume ihnen Kohlenhydrate und Vitamine, die bei der Fotosynthese entstehen, weit oben in der Baumkrone. Licht in Energie umwandeln können Pilze nämlich nicht. Deshalb kooperieren sie in einer Symbiose mit den Bäumen im Wood Wide Web.
Als beim Stadtverbesserer ein Mail der Forschungsanstalt Empa zum «Schwarzen Gold der Pilze» reinflattert, gibt er dem Thema eine Chance. Und als er liest, dass es um den «gigantischen Hallimasch-Pilz» geht, eines der «grössten Lebewesen der Welt», klickt er auf den Link. Ein Forscherinnenteam hat es geschafft, aus dem zwiebelfüssigen Hallimasch natürliches Melanin zu gewinnen. Die künstliche oder natürliche Produktion dieses Pigments war bislang so aufwendig, dass es um ein x-Faches teurer ist als Gold. Der zwiebelfüssige Hallimasch, in eine 1-Liter-Lösung eingelegt, produziert nun 1000-mal so viel Melanin wie die bisherigen Mikroorganismen: 20 Gramm in drei Monaten.
Mit dem neu gewonnenen schwarzen Gold geht die Empa nun verschiedene Projekte an. Melanin bindet Schwermetalle wie Blei. Eine Eigenschaft, die es für Wasserfilter interessant macht.
Oder: Mit Melanin behandelt, wird Fichte (fast) so schwarz wie tropisches Ebenholz. Das könnte den Regenwald schützen. Danke, Hallimasch!

Einen Klick später im World Wide Web stellt der Stadtverbesserer dann aber fest, dass Hallimasche zu den schlimmsten Forstschädlingen gehören. Bäumen – gerne von Borkenkäfern geschwächten – entziehen sie so viel Nährstoffe, bis diese absterben. Danach vertilgen sie das Totholz. In Oregon hat ein 900 Hektaren grosses Ungetüm ein Waldsterben ausgelöst. Und am Ofenpass wuchert ein tausendjähriges 500 bis 800 Meter grosses Exemplar.
Die Hallimasch-Euphorie ist kurz verflogen. Sperrt ihn in die Petrischale! Aber gibt es Gut und Böse auch in der Pilzwelt? Eine anthropomorphe Vorstellung. Trotzdem scheinen dem Stadtverbesserer die kooperativen Netzwerkerpilze gerade sympathischer.
Was das alles mit Winterthur zu tun hat? Der Hallimasch ist auch hier. Denken Sie an ihn, wenn Sie mit einem neuen Ebenholztisch liebäugeln. Und wenn Sie beim Spazieren einen entdecken, lassen Sie lieber die Finger davon. Ausser aber, Sie haben eine Verstopfung.
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