Abgang nach 44 Jahren IOK Der Mann, der sich etliche Feinde schaffte, verliert seine Stimme
Richard Pound war das wichtigste Mitglied der IOK-Geschichte, doch Präsident wurde er nie. Weil er auch Missstände aufdeckte. Mit 80 muss er aufhören – und wird Ehrenmitglied.

Eine neue Ära ist das schon für das Internationale Olympische Komitee. Denn seit dem 1. Januar fehlt im über 100-köpfigen Gremium Richard Pound, oder Dick, wie sie ihn alle nennen. 1978 war der kanadische Rechtsanwalt gewählt worden, 44 Jahre und unzählige Ämter und Entwicklungen später hat er den noch einzig möglichen Aufstieg hinter sich: Pound ist Ehrenmitglied geworden. Er darf in dieser Funktion zwar nicht mehr abstimmen, aber immerhin noch mitdiskutieren. Mit 80 Jahren ist er der Altersguillotine des IOK zum Opfer gefallen. Verabschiedet hat er sich Ende Dezember im Komitee – wie kaum anders zu erwarten – mit Empfehlungen, was noch verbesserungswürdig wäre.
Pound trug seit den 1980er-Jahren fast zwei Jahrzehnte massgeblich zum Wachstum und zur Kommerzialisierung der Olympischen Spiele bei, erst als Vorsitzender der Marketing- und später auch der TV-Rechte-Kommission. Er tat dies im Schatten und während der Regentschaft des Spaniers Juan Antonio Samaranch, und er tat es aus Leidenschaft. Weil er, wie er in einem Interview mit dem Portal «insidethegames» sagte, als einstiger Olympiaschwimmer dem Sport mindestens das zurückgeben wollte, was er von ihm profitiert hat. 1960 war er in Rom als Freistilschwimmer über 100 m Sechster geworden.
Die Sicht der Athletinnen und Athleten hat er nie verloren. Als er es 1980 als Chef des kanadischen olympischen Komitees nicht schaffte, die Regierung von einem Boykott der Spiele in Moskau abzuhalten, reiste er als IOK-Mitglied, das er gleichzeitig war, nach der Session und noch vor Beginn der Wettkämpfe aus der russischen Hauptstadt ab. Es wäre den Athleten gegenüber, denen man die Teilnahme versagte, nicht korrekt gewesen, als Einziger anwesend zu sein, begründete er.
Nicht alle goutierten seine direkte Art, sein unverblümtes Benennen von Schwachpunkten und seine Meinungen, die er geradeheraus kundtat.
Als Pound sich dann 2001 – als logischer Schritt in seinem Werdegang – zur Wahl fürs Präsidentenamt stellte, wurde das zum frustrierendsten Unterfangen in seiner ganzen Ära. Nicht alle goutierten seine direkte Art, sein unverblümtes Benennen von Schwachpunkten, seine Meinungen, die er geradeheraus kundtat. Im Komitee hatte er auch den Übernamen «Mister Proper», einerseits eine Anerkennung, andererseits aber die leicht verächtliche Bezeichnung für jenen, der 1999 die Bestechungsaffäre um die Vergabe der Spiele 2002 in Salt Lake City hartnäckig aufgearbeitet hatte. Zwanzig IOK-Mitglieder hatten sich vom Organisator bestechen lassen, zehn davon verloren ihr Amt durch Ausschluss oder erzwungenen Rücktritt, zehn wurden verwarnt. Pound hatte sich mit dieser Aufdeckung etliche Feinde geschaffen, zur Wahl reichte es deshalb nicht.
«Die Organisationen wollen zwar als sauber wahrgenommen werden, aber diejenigen, die aufräumen, haben sie nicht gern», sagt er. Pound ist mit seiner Herangehensweise zum wichtigsten IOK-Mitglied der Geschichte geworden, das nie Präsident war. Er zog die Konsequenzen aus der Wahlniederlage, trat aus der Exekutive aus und wandte sich nach einer kreativen Pause einer Idee zu, die er schon 1998 hatte: der Dopingbekämpfung mittels einer unabhängigen Stelle.
«Ich bin nicht diplomatisch. Wenn nötig, greife ich jeden frontal an.»
Die Idee sei ihm nach dem Skandal in der Tour de France gekommen, sagte er damals gegenüber dieser Zeitung. «IOK-Präsident Juan Antonio Samaranch hatte sich öffentlich sehr ungeschickt zu diesem Thema geäussert. Er hatte gesagt, für ihn sei das, was die Fahrer täten, nicht Doping. Im IOK mussten wir den Schaden begrenzen», so Pound. Das habe 1999 zur Gründung der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) geführt. Der Kanadier wurde auch ihr erster Präsident. «Ich wuchs mehr oder weniger in diese Rolle hinein. Bevor ich mich des Dopingproblems annahm, versuchte man, es mit Diplomatie zu lösen. Ich bin nicht diplomatisch. Wenn nötig, greife ich jeden frontal an», sagte er damals.
Unter seiner Ägide erreichte das Testen ausserhalb der Wettkämpfe ein neues Level, und Proben wurden fortan aufbewahrt, um sie später mit verbesserten Methoden nochmals zu untersuchen. Als die ARD 2014 eine Dokumentation über russische Dopingpraktiken in der Leichtathletik ausstrahlte, setzte die Wada zur Untersuchung eine unabhängige Kommission ein – an der Spitze Pound. In einem ersten Bericht empfahl er dem Weltverband 2015, den russischen Leichtathletikverband von den Spielen in Rio auszuschliessen. Der zweite Bericht, ein halbes Jahr später und benannt nach seinem Kollegen Richard McLaren, sezierte das staatlich orchestrierte Dopingprogramm um die Spiele 2014 in Sotschi. Als das IOK diesen Bericht «ignorierte», weil man sich zu kurz vor den Spielen in Rio befand, habe er sich in einem «ernsthaften Clinch» befunden, sagte er gegenüber «insidethegames».
Nun hat der Mahner und Kritiker seine Stimme verloren – zumindest bei Abstimmungen. Gehör verschaffen wird sich Pound wohl trotzdem.
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