Heute vor 350 JahrenDer Neftenbacher, der den Papst stürzen wollte
In unserer Rubrik «Heute vor …» finden Sie regelmässig historische Geschichten und Anekdoten aus Neftenbach.

Johann Jakob Redinger ist zweifelsohne eine der wichtigsten Neftenbacher Persönlichkeiten aller Zeiten. Er leistete europaweit grosse Verdienste im Bereich der Pädagogik. Sein religiöser Fanatismus wurde ihm jedoch zum Verhängnis. Im Jahr 1985 verfasste Basil Schader eine ausführliche Studie über Redingers Leben, die er im Artemis-Verlag publizierte.
Redinger wurde am 24. August 1619 in Neftenbach geboren und absolvierte bereits mit 13 Jahren ein Theologiestudium. Aufgrund seines grossen Talents für Sprachen schloss er sich 1642 als Feldprediger einem Söldnerregiment an, mit dem er unter anderem nach Katalonien, nach Frankreich und ins Piemont reiste. Vier Jahre später trat er eine Stelle als Pfarrer in der Kirchgemeinde Dietikon-Urdorf an. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine Familie mit mehreren Kindern gegründet.
Als reformierter Pfarrer engagierte sich der Neftenbacher stark für schulische Belange, die Gemeinde Dietikon verdankt ihm gemäss Schaders Studie die Eröffnung ihrer ersten Schule. Weil Redinger jedoch eine Abneigung gegen die Handlungen des katholisch geführten Klosters im nahe gelegenen Wettingen hegte, kam es bald schon zu einem gehässigen Konflikt mit dem dortigen Abt. Redinger verlor schliesslich die Nerven und liess in einer überstürzten Aktion den katholischen Pfarrer von Dietikon gefangen nehmen und nach Zürich verschleppen.
Zu dieser Zeit stand der Villmergerkrieg – ein Konflikt zwischen reformierten und katholischen Orten in der Schweiz – kurz bevor. Die Reformierten in Zürich enthoben Redinger wegen seiner unbedachten Aktion in einer angespannten politischen Lage mit sofortiger Wirkung seines Amtes.
Aus Zürich ausgewiesen
Redinger versuchte sich in der Folge als Hauptmann eines Trupps zu profilieren – jedoch ohne Erfolg. Bereits auf seinem ersten Ausritt wurde er von Katholiken abgefangen, den Rest des Kriegs verbrachte er in einem Zuger Gefängnis. Inzwischen hatten sich zwei Männer, die mit seiner Gattin verwandt waren, seiner «vaterlosen» Familie angenommen und dafür gesorgt, dass Redinger aus Zürich ausgewiesen wurde. Dies musste er hinnehmen, da sein Vater aus Hessen stammte und er offiziell nie ins Kantonsbürgerrecht aufgenommen wurde.
Nach seiner Ausweisung veröffentlichte er sein erstes Buch, in dem er die lateinische Sprache sinngemäss als blosses Rinnsal «aus der Urquelle der deutschen Haupt- und Heldensprache» bezeichnet. Diese Ansicht teilte er mit dem Philosophen Johann Amos Comenius, der sich als Reformer im pädagogischen Bereich einen Namen gemacht hatte. Kurze Zeit später lernte er Comenius an dessen Aufenthaltsort in Amsterdam persönlich kennen.
Comenius war Chiliast und prophezeite als solcher den Anbruch eines neuen tausendjährigen Reichs nach der Wiederkunft Christi im Jahr 1666 und die Notwendigkeit eines vorher zu absolvierenden «Heilsprogramms». Demzufolge sollten nicht nur der Papst und die Habsburger gestürzt, sondern auch die Juden, Türken und Heiden zum christlichen Glauben bekehrt werden müssen. Redinger zeigte sich von diesen «neuen göttlichen Offenbarungen» nach anfänglicher Skepsis begeistert.
Engagement als Rektor
Da Comenius von den Fähigkeiten seines neuen Schülers überzeugt war, übergab er ihm die Leitung einer Klasse seiner Lateinschule in Amsterdam. Im Oktober 1958 wurde Redinger dann von der pfälzischen Regierung als Rektor einer Lateinschule in die deutsche Stadt Frankenthal berufen. Damit schien er in den Augen seiner Verwandtschaft «rehabilitiert», weshalb seine Familie sich wieder mit ihm vereinte und zu ihm nach Frankenthal zog.
Auch in Frankenthal setzte sich Redinger für die pädagogischen Ideen Comenius’ ein. Diese beinhalteten unter anderem eine hohe Gewichtung des spielerischen Lernens im Schultheater. Fünf Jahre lang engagierte sich Redinger für seine blühende Sprachschule. Im Jahr 1663 kam es in den Kreisen der Amsterdamer Chiliasten um Comenius jedoch zu zunehmenden Unruhen, die schliesslich auch auf Redinger übergriffen.
Da der Termin für den angeblichen Anbruch des neuen Millenniums näher rückte und viele der verkündeten Offenbarungen sich noch nicht erfüllt hatten, sah Redinger sich «vom allmächtigen Gott zu einem höheren Amt berufen» und zog nach Frankreich los, um König Louis XIV auf die Offenbarungen hinzuweisen. Er war der Ansicht, dass es die gottbestimmte Aufgabe des Königs war, die Habsburger und das Papsttum zu vernichten. Dies führte zu mehreren diplomatischen Beschwerden, weshalb er in Frankenthal seines Amtes als Rektor enthoben wurde.
Erfolglose Türkeireise
Seine Familie wurde aus Deutschland ausgewiesen und musste in die Schweiz zurückkehren. Redinger selbst zog in die Türkei los, um die dortige Bevölkerung im Sinne der Offenbarungen zu bekehren, was trotz zwei Gesprächen mit dem Grosswesir Achmed Körpili zum Scheitern verurteilt war. Über Umwege kam Redinger nach Zürich zurück, wo er jedoch weiterhin nicht willkommen war. Er wagte deshalb als Bote von Comenius einen zweiten Versuch, Louis XIV über die Offenbarungen aufzuklären. Da auch dieses Unterfangen erfolglos blieb, stellte er sich schliesslich «auf Gedeih und Verderben» der Stadt Zürich.
Diese wiese ihn 1666 in ein Irrenhaus am Ötenbach ein. Grund dafür war nebst seinem Glauben an die Existenz nachbiblischer Offenbarungen auch die Vernachlässigung seiner Familie. Allen Widrigkeiten zum Trotz setzte er sich bis zu seinem Tod am 10. März 1688 weiter für die Verbreitung seines Glaubens ein. Selbst winterlanger Heizungsentzug und Schreibverbote, deren Umgehung mit Fesselung in dunklen Verliesen bestraft wurde, konnten ihn nicht davon abhalten.
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