Analyse zu WeissrusslandDer Präsident traut sich kaum mehr unters Volk
Alexander Lukaschenko kann sich vielleicht als Machthaber halten. Sein Land hat sich aber bereits fundamental verändert.

Es sind machtvolle Botschaften im Tagesrhythmus: Tausende, Zehntausende Menschen beim Dauerprotest, Frauen, die mit Oppositionsfahnen gegen Präsident Alexander Lukaschenko demonstrieren und den Wunsch nach Wandel prägen. Andererseits sind auch dies sichtbare Bestandteile des Kräftemessens: Massenfestnahmen, staatliche Knüppel, eine Oppositionsführerin, die festgenommen und aus dem Land gedrängt wird.
Einen Monat nach der Präsidentenwahl in Weissrussland trifft die beharrliche Protestbewegung auf einen unbarmherzigen Staatsapparat. Das Lukaschenko-Regime gibt nicht nach, die Demonstranten lassen nicht locker. Aus der schnellen Dynamik nach der Wahlfarce ist ein machtpolitisches Patt geworden.
Ein Patt ist allerdings kein Schlüssel für einen Wandel, solange die Regierung in Minsk zu Dialog und echten Reformen nicht bereit ist. Und das ist sie nicht. Mit jedem Schlag gegen den Koordinierungsrat dokumentiert die Führung ihren Entschluss, ihr Bollwerk mit allen Mitteln zu festigen. Das ist schlecht für das Land, das Fortschritt und Impulse braucht. Es ist auch schlecht für die Oppositionsbewegung. Für sie brechen nun entscheidende Wochen an, wenn sie mit ihren Zielen nicht scheitern will.
Der gewaltige Staatsapparat Lukaschenkos zeigt keine sichtbaren Risse.
Als in der Ukraine 2004 das Volk gegen den angeblichen Wahlsieg von Wiktor Janukowitsch aufbegehrte, stellten sich mehr als 150 Diplomaten des Aussenministeriums auf die Seite der Demonstranten. Eine solche Bewegung gibt es in Weissrussland nicht. Der gewaltige Staatsapparat, den Lukaschenko im Laufe von 26 Jahren aufgebaut hat, zeigt keine sichtbaren Risse. Angekündigte Generalstreiks hatten letztlich keine Durchschlagskraft. Manche Arbeitnehmer wurden festgenommen, andere hatten einfach Angst.
Das Problem der Protestbewegung ist dabei nicht, dass diese keine Anführer hat, sondern dass ihre Protagonisten im Gefängnis oder im Ausland sind oder extrem gefährdet sind, dort zu landen. Der Staatschef setzt auf brutale Zermürbung, vermutlich auch auf den anbrechenden Winter und sinkende Demonstrationslust. Und er weiss, dass er auf den mächtigen Nachbarn Russland setzen kann.
Schon in den vergangenen Wochen liess Lukaschenko abgesprungene Staatsjournalisten durch russische ersetzen, Moskau bietet überdies militärische Hilfe an. Und Lukaschenko würde wohl nicht zögern, sie anzunehmen, wenn es seiner Machtsicherung dient. Wirtschaftlich bleibt ihm kaum etwas anderes übrig,
als auch China mehr Einfluss zu gewähren, das im Land kräftig investiert und zu Menschenrechten keine Fragen stellt.
Für die EU droht sich das Dilemma von Venezuela zu wiederholen.
Dem Westen bleibt neben symbolischen Sanktionen kaum mehr, als auswanderungswilligen Menschen aus Weissrussland Schutz zu bieten. Vor allem für die EU droht sich das Dilemma von Venezuela zu wiederholen, wo sie einzig Juan Guaidó als Präsidenten anerkennt, der es faktisch aber nicht ist. Die weissrussische Präsidentenwahl akzeptiert Brüssel nicht; falls sich Lukaschenko jedoch hält, wird sie dies nicht ganz ignorieren können.
Trotzdem hat sich Weissrussland bereits fundamental verändert. Die These vom beliebten Staatschef, der sich um seine Bevölkerung kümmert, hat sich sichtbar als Mär erwiesen. Lukaschenko kann sich vielleicht als Machthaber halten, aber es ist eine Scheinmacht, wenn er sich kaum unters Volk traut. Und es wäre ein hoher Preis – ein Amt, das sich auf Gewalt und Angst stützt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.