34 Jahre nach AttentatDer «Skandia-Mann» soll Olof Palme getötet haben
Ein toter Verdächtiger, keine Beweise, kein neues Verfahren: Die Ermittlungen zu einem der spektakulärsten politischen Morde enden als «totales Fiasko», wie Medien kommentieren.

Eigentlich hatte Krister Petersson, leitender Staatsanwalt in den Olof-Palme-Ermittlungen, eine kaum lösbare Aufgabe: Idealerweise hätte er einen rauchenden Revolver präsentieren müssen, mit Fingerabdrücken, DNA-Spuren und dem dazugehörigen Schützen. Nach 34 Jahren war das ein Ding der Unmöglichkeit, aber wahrscheinlich hatten nicht wenige Schweden so etwas erwartet von diesem Tag, den das grösste Boulevardblatt des Landes, «Aftonbladet», heute Morgen als «historisch» angekündigt hatte.
Der Mord am einstigen Ministerpräsidenten Olof Palme ist für Schweden bis heute ein Trauma: Eine «offene Wunde, die nie geheilt werden konnte», wie es der amtierende Ministerpräsident Stefan Löfven formulierte. Und nun diese Medienkonferenz, auf die das Land seit Wochen hingefiebert hatte. Staatsanwalt Petersson hatte schon vor Monaten einen Schlusspunkt versprochen, eine Antwort auf die Frage: Wer hat Palme umgebracht auf offener Strasse in Stockholm mit einem Schuss in den Rücken an jenem 28. Februar 1986?
Es war eine virtuelle Medienkonferenz, eine Videoschaltung, des Coronavirus wegen. Und schon Stunden vor Beginn hatten sich Leute eingeloggt auf der Website des Staatsfernsehens SVT, das live übertrug. «Mein Gott, 34 Jahre mussten wir warten. Und heute ist es so weit», schrieb ein Zuschauer um 7.36 Uhr in die Kommentarspalte. Und eine Stunde später meinte ein anderer: «Himmel, ich halte es kaum mehr aus.»

Punkt 9.30 Uhr erschienen Staatsanwalt Petersson und der leitende Ermittler Hans Melander in spartanischem Setting. Ein Tisch, zwei Wassergläser und zwei Mikrofone. Und es dauerte keine zwei Minuten, da erfuhr die Nation den Namen eines neuen Tatverdächtigen: Stig Engström, Grafikdesigner der Firma Skandia, im Jahr 2000 verstorben. Dann folgte die offizielle Mitteilung: Die Strafuntersuchung – mit umgerechnet 60 Millionen Euro die teuerste der schwedischen Geschichte – werde nun eingestellt.
Haarsträubende Fehler früherer Ermittler
Hat Schweden also bekommen, was es wollte? Statt dramatischer Katharsis gab es eine eineinhalbstündige Power-Point-Präsentation zweier als korrekt, seriös und effektiv bekannter Beamter. Statt rauchender Revolver folgten feingliedrige ermittlungstechnische Ausführungen über getragene oder nicht getragene Kappen, Mäntel und Handtaschen aus der Perspektive verschiedenster Zeugen. Es gab keine Beweise, nur Indizien. Keine neuen Zeugen, nur die alten Aussagen in neuem Lichte ausgewertet. Und dabei, nicht unwichtig, wurden auch haarsträubende Versäumnisse der früheren Ermittler an den Tag gebracht.

Wenn es Stig Engström wirklich war, wäre das ein weiterer böser Witz in diesen an Debakeln so reichen Ermittlungen. Der mutmassliche Täter, in Schweden auch bekannt als «Skandia-Mann», war ein Angestellter der Skandia-Versicherungen und hatte Alkohol- und Geldprobleme, war Sportschütze, politisch rechts, und er verkehrte in Palme-kritischen Zirkeln. Vor allem aber: Er hatte sich nie versteckt, er war nicht nur bloss die ganze Zeit vor den Augen der Polizei präsent, er war regelrecht vor ihnen herumgetanzt.
Der «Skandia-Mann» narrte die Polizei
«Fast als wolle er sie verspotten», sagte Staatsanwalt Petersson an der heutigen Videokonferenz. Engström war zum Zeitpunkt des Mordes vor Ort gewesen wie 20 andere der Polizei bekannte Personen auch. Er diente sich der Polizei und den Medien mehrfach aktiv als Zeuge an. Als die Polizei ihn anders als andere Zeugen damals nicht einlud zur Rekonstruktion der Tat, kontaktierte der «Skandia-Mann» alte Bekannte vom Fernsehen – und inszenierte mit ihnen seine eigene Rekonstruktion.
Das war der irrste Teil der ansonsten äusserst nüchternen Medienkonferenz: Als der Staatsanwalt eben diesen alten Fernsehclip abspielte, in dem Engström jene Nacht nachspielen darf, in dem er mit wehendem Mantel davonläuft, und in dem er den Kameras seine Version erzählen darf: wie er dem auf der Strasse liegenden Palme helfen wollte, und wie ungerecht es sei, dass später einige ihn im Verdacht hatten.
Ebenso erstaunlich: Wie Staatsanwalt Petersson nach Abspielen des alten Clips enthüllte, dass der damalige Polizeichef Hans Holmér die Anweisung gegeben habe, gegen Engström nicht weiter zu ermitteln, damit ihn «die Staatsanwälte nicht in die Krallen bekommen». Holmér war besessen von der Idee, die kurdische Rebellenorganisation PKK stecke hinter dem Mord, und darum konnte er keine Ablenkung gebrauchen.
Eines ist klar nach der heutigen Medienkonferenz: Geeint hat Staatsanwalt Petersson mit seiner Erklärung die Schweden nicht. «Das ist kein Schlusspunkt», schrieb etwa «Svenska Dagbladet». Ein toter Verdächtiger, keine Beweise, kein neues Verfahren. Das sei sogar «ein totales Fiasko», kommentierte «Aftonbladet». Die ehemalige Parteichefin der Sozialdemokraten, Mona Sahin, sagte, sie fühle sich nun «leicht verwirrt».
«Ein Denkmal für das Versagen der Polizei»
Andere Leute zeigten sich öffentlich zufrieden, etwa die Familie des Ermordeten. «Ich denke auch, dass Engström der Schuldige ist», sagte Olof Palmes Sohn Mårten Palme im schwedischen Fernsehen. Er und sein Bruder Joakim veröffentlichten eine Erklärung, in der sie die Einstellung der Untersuchungen als «vernünftig» bezeichnen.
Staatsanwalt Petersson sagte, die von ihm präsentierte Lösung sei eine, «hinter der wir stehen können». Und weiter: «Wenn wir auch andere davon überzeugen können, dann ist das gut.» Vorerst sah es erst einmal so aus, als habe er dieses Ziel nicht wirklich erreicht. Die Schweden müssten nun wohl damit leben, dass sie nie wirklich erfahren, wer Palme ermordet hat, schrieb die Zeitung «Dagens Nyheter». Die Ermittlungen seien nun zu Ende – und mit dem heutigen Tag endgültig «ein Denkmal für das Versagen der Polizei».
Fehler gefunden?Jetzt melden.
grundsätzlich sollte die damaligen Ermittlungen Ziel einer gründlichen Untersuchung sein - mir scheint, dass es ein rechtslastiges Netzwerk in der Justiz und der Sicherheitsdienste es einmal mehr geschafft hat, einen politisch motivierten Mord nicht zu klären beziehungsweise den Verdacht abzulenken.