Comeback im BasketballDer stärkste Mann der Schweiz spielt in Winterthur
Er zog Lastwagen und ist Rekordhalter im 100-kg-Hantelheben. Nun ist Ueli Pickel, «Stärkster Mann der Schweiz 2021», zum Basketballclub Winterthur zurückgekehrt.

Eigentlich müsste er Eishockey spielen. «Rolf Schrepfer, mein Onkel, spielte in der höchsten Liga», berichtet Ueli Pickel. «Aber ich selbst bin auf den Schlittschuhen jedes Mal hinten raus auf den Kopf gefallen.» Also wurde der 28-Jährige nicht wie der Onkel drei Mal Schweizer Meister mit dem ZSC und Bern, sondern hält den Schweizer Rekord im Stemmen der 100 Kilogramm schweren Kurzhantel. «Die Hantel hatte Staub drauf, weil sie so lange niemand lupfen konnte.»
Treffen im Klassenzimmer in Gossau, wo Pickel eine 3. Oberstufenklasse in Deutsch, Englisch, im Fach «Räume Zeiten Gesellschaften» und Sport unterrichtet. Er habe immer entweder Lehrer, Polizist oder Schauspieler werden wollen. Polizist? «Das war ich im Militär. Da merkte ich, dass Nachtschichten für mich nichts sind.» Schauspieler? «Im letzten Herbst habe ich mich an der Zürcher Hochschule der Künste beworben.» In der dritten Runde, unter 15 von 200 Kandidaten für sechs Studienplätze, schied er aus.
«Die Klasse meinte, ich sehe schlank aus, fast schon wie ein Lauch.»
«Es war cool zu wissen, dass ich nicht nichts kann», blickt der Thurgauer, seit einigen Jahren in Hettlingen zu Hause, zurück. «Ich performe auch vor der Klasse gerne.» Bei den Schülern war zuletzt ein Thema, dass der Lehrer von 123 auf 102 Kilogramm abgespeckt hat. «Körperlich fühle ich mich viel besser. Die Klasse meinte, ich sehe schlank aus, fast schon wie ein Lauch.» Pickel hatte sich fit gemacht für das Comeback im Basketball. «Ich stand um 6.15 Uhr in der Turnhalle, um an meiner Kondition zu trainieren oder um zu werfen.»
Er legte sich Muskeln zu
Nach acht Jahren ist der Forward zum Basketballclub Winterthur zurückgekehrt, wo er als Junior ausgebildet worden war und in der NLB gespielt hatte. Zuvor hatte er Handball und Baseball versucht und sich dann, da er in der Freizeit oft auf den Korb geworfen hatte, dem BC Frauenfeld angeschlossen. «Dort war ich sogar Topskorer», staunt er. «Aber ich merkte, dass ich mehr will als der Verein.» So wechselte er nach Winterthur.
«Mit 18 war ich ein «Sprenzel». Gegen meine Teamkollegen Jin-Mark György, Eugen Stenske oder Silvan Hungerbühler zog ich immer den kürzeren. Da hat mir meine Mutter ein Abo für das Fitness gekauft. So ist meine Liebe zu den Gewichten entstanden.» Pickel legte sich Muskeln zu und wurde zwar nicht wieder ein Topskorer, aber ein valabler Rebounder.
«Ich will nahe am Brett sein. Der Rebound hat einen Reiz. Ich muss nicht viele Punkte machen: Ein Offensiv-Rebound tut dem Gegner vielleicht noch mehr weh.» In der NLB stand er im Dress des BCW in der Startaufstellung, gewöhnlich für die ersten fünf bis sieben Minuten, um für Power unter dem Korb und die richtige Energie in der Verteidigung zu sorgen.
Sieben Mahlzeiten am Tag
«Aber dann liess ich die Mannschaft im Stich», wird Pickel, der sonst immer ein Lachen im Gesicht hat, nachdenklich. 2015 ging er während der Saison für den von der Pädagogischen Hochschule vorgeschriebenen Sprachaufenthalt nach Australien. Es wurde ein Abschied für lange, denn der BCW stieg auf. «Ich wusste: Mit 1,92 Metern bin ich als Forward für die Nationalliga A zu klein.» Also ging Pickel zum Rubgy, wo er für den RC Winterthur ebenfalls in der NLB auflief.
«Ich wollte damit nicht angeben.»
«Es war toll, aber ich hatte nach jedem Match eine Prellung», schmunzelt Pickel. «Ich fühlte mich nie so gut wie im Rugby, es war ein Adrenalin-Rausch.» Damals nahm er auch zum ersten Mal an einem Strongman-Wettkampf teil. «Ich sah Strongman im Deutschen Sportfernsehen. Ich fand es faszinierend, dass die Männer zum Beispiel Lastwagen zogen - etwas, was normalerweise niemand macht.» 2021 wurde Pickel dann «Stärkster Mann der Schweiz».
«Ich habe sieben Mal am Tag gegessen», verrät er. Denn er habe zunehmen und noch stärker werden wollen. «Aber inzwischen weiss ich, dass ich nur gescheiter hätte essen müssen.» Und: Er sei 2021 eigentlich gar nicht der Stärkste im Strongman-Teilnehmerfeld gewesen. «Aber ich war technisch effizient.» Trotz Meisterehren blieb er im Alltag unerkannt. «Ich wurde in der Szene oft angesprochen, warum ich mich nicht bei der Zeitung melde. Aber ich wollte damit nicht angeben.»
Wieder rennen können
Jedoch: Der stärkste Schweizer wurde an einen internationalen Wettkampf in Finnland eingeladen. «Dort waren aber alles abartige Kraftprotze dabei. Ausser beim Lastwagenziehen wurde ich überall Letzter.» In der Vorbereitung sei er psychisch und physisch an seine Grenzen gekommen. «Nach dem Wettkampf konnte ich den Fuss nicht mehr heben. Er tat so weh, ich dachte, ich müsse ihn abschneiden.»
«Um mithalten zu können, hätte ich mit Performance steigernden Substanzen anfangen müssen.»
Das wars. «Um mithalten zu können, hätte ich mit Performance steigernden Substanzen anfangen müssen. Das wollte ich nicht machen. Und ich wollte wieder rennen können.» Zuletzt habe er ständig Angst gehabt, «dass es mir den Hamstring verjagt», erzählt er. «Ich konnte nicht mehr normal die Treppe herunter laufen, es tat immer etwas weh.» Ihn reue aber nichts - ausser, dass er nie am Eidgenössischen Schwingerfest beim Steinstossen mitgemacht habe. Dafür nahm er an den Highland Games teil beim 60-Kilogramm-Baumstammwerfen.
Nun ist er zur alten Liebe Basketball zurückgekehrt. «Für mich war klar, dass ich das beim BCW mache», betont Pickel. Sein Plan: Sachte anfangen, in der 2. Liga Regional. «Im Dezember schrieb ich dem Club eine E-Mail. Nach einer Stunde kam die Frage zurück, ob ich nicht beim Nationalliga-B-Team im Training vorbeischauen wolle. Wir haben gerade mit einer Krafteinheit begonnen. Es war extrem streng, ich musste mich fast übergeben.»
Das Alte neu lernen
Noch ist die Einsatzzeit des stärksten Mannes der NLB bescheiden. Er müsse konditionell noch zulegen, bilanziert Ueli Pickel. «Und das Spielverständnis muss wieder besser werden.» Und er müsse den Abschluss am Korb wieder lernen. «Ich will mir aber zeigen, dass ich wieder auf Nationalliga-B-Niveau spielen und dem Team etwas bringen kann.»
NLB Männer, BC Winterthur – GC, Sonntag, 15.30 Uhr, Neuhegi
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