TV-Kritik zum neu moderierten «Kassensturz»Die Anwältin der Mäuse
Gestern Abend hatte Bettina Ramseier ihre Premiere als neue «Kassensturz»-Moderatorin: hektisch, aber herzlich.

«Wir können es uns leisten, zu hinterfragen!» Mit diesem Satz begrüsste die neue «Kassensturz»-Moderatorin Bettina Ramseier gestern Abend das Publikum ihrer ersten Sendung. Wir hätten eine Verantwortung, denn kaum irgendwo auf der Welt funktioniere die Wirtschaft so gut wie in der Schweiz. Zum Beispiel heute am Tag der Frau: «Warum verdienen Frauen immer noch weniger für die gleiche Arbeit?» Und dann geht es sofort um Druckerpatronen.

Es ist Bettina Ramseier zuzugestehen, dass es in Tagen wie diesen anspruchsvoll ist, ein Gegenprogramm zu moderieren. Die ehemalige SRF-Deutschland-Korrespondentin wird im Wechsel mit Kathrin Winzenried durch die Sendung führen.
Ramseier ist eindringlich und schnell. Vielleicht einen Tick zu hektisch – aber herzlich. Dass es ihre Premiere ist, darf man nicht vergessen; und dass sie in die Fussstapfen von Ueli Schmezer tritt, der 25 Jahre das Aushängeschild der Sendung war, auch nicht.
Zurück zu den Druckerpatronen. Der Beitrag von Konsument Herr Bieri, der festgestellt hat, dass sein HP-Drucker nur noch Originaldruckerpatronen akzeptiert, ist genau das, was man vom «Kassensturz» erwartet. Es sind die Alltagssorgen der Konsumenten, die hier Platz finden. Das war schon immer so.
Irritierend war hingegen die Gestaltung des Beitrags zur Vergasung von Labormäusen. Der Beitrag ist dramatisch: Labormäuse werden gezüchtet, alle Tiere, die dann in der Forschung keine Verwendung finden, vergast man mit CO2. Bea Roth vom Zürcher Tierschutz fordert schonendere Tötungsmethoden. Es wird ein Video gezeigt, wie weisse Mäuse mit roten Augen hilflos zucken und dann dem Erstickungstod erliegen. Die Musik im Hintergrund war unheimlich, die Stimme der Sprecherin dunkel – es hatte eher etwas filmisch Inszeniertes als Berichtendes.
Eher betroffen als konfrontativ
Der Gast in der Livesendung ist Christian Leumann. Er soll Ramseier Rede und Antwort zu den umstrittenen Tötungsmethoden der Labormäuse stehen. Ruhig und klar beantwortet er die Fragen der Moderatorin, die ihm aber leider bei jedem Satz ins Wort fällt. Man denkt, bitte nicht noch mal, und es passiert gleich wieder. Sie möchte konfrontativ sein, ist aber ein bisschen zu betroffen.
Auch wenn sie sich als Anwältin der Mäuse versteht, sollte sie als Moderatorin den Gast ausreden lassen. Als Leumann nicht mehr genau weiss, in welche Kamera er sich verabschieden muss, geht es direkt weiter zum Produkttest. Nylonstrümpfe. Welche Strumpfhose ist anfällig auf Laufmaschen, und welche sitzt am besten?
Der Beitrag hierzu ist beinahe sphärisch-romantisch. Während Edith Piaf und Marlene Dietrich im Hintergrund zu sehen sind, erzählt Tobias Urech, der auch Dragqueen ist, von seiner Beziehung zu Nylonstrümpfen.
Bettina Ramseier verabschiedet sich mit dem Satz: «Schöne neue Welt, für 60 Rappen gibt es eine anständige Strumpfi!» Und dann noch kurz der Hinweis zur Spenden-Spezialsendung für die Ukraine von heute Abend auf dem Bundesplatz in Bern.
Nora Zukker ist bei der Redaktion Tamedia für die Literatur verantwortlich. Davor arbeitete sie für Radio SRF mit dem Schwerpunkt Gegenwartsliteratur. Für das Ressort Leben schreibt sie zudem über gesellschaftsrelevante Themen.
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