Mondrian in der Fondation Beyeler Die Entwicklung eines Künstlers vor Augen
Das Museum in Riehen zeigt in einer grossartigen Ausstellung, wie der niederländische Maler seine konstruktivistischen Bilder erfand, die ihn weltberühmt machten.

Mit Piet Mondrian reisen wir zurück in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, in denen die Künstler das Wahre und Schöne nicht mehr in der naturalistischen Darstellung der Wirklichkeit fanden, sondern in der Abstraktion. Diese Revolution erweist sich, wie die Fondation Beyeler in ihrer neuen Ausstellung «Mondrian Evolution» zeigt, bei näherer Betrachtung als evolutionärer Prozess.
Bilder und Kompositionen
Die umfassende Schau, die mit einigen der berühmtesten Bilder des 1872 in den Niederlanden geborenen Konstruktivisten aufwarten kann, beginnt mit einer programmatischen Gegenüberstellung: Da hängt das kleine Genrebild «Frau mit Spindel» (1893–1896), das noch ganz in der Maltradition des 19. Jahrhunderts verharrt. Daneben ist die «Komposition mit Schwarz und Weiss mit Doppellinien» (1934) zu sehen, bei der es sich um eines der typischen, längst ikonisch gewordenen Gemälde des späten Mondrian handelt, auf dem sich parallel geführte schwarze Linien auf weissem Grund im rechten Winkel kreuzen.

So sehr dieses abstrakte Gemälde nach eigenen Gesetzmässigkeiten funktioniert, so fallen doch die strukturellen und kompositorischen Ähnlichkeiten der beiden Bilder ins Auge: Auch bei der «Frau mit Spindel» findet sich auf der Küchenwand ein rechtwinkliges Muster. Zudem sitzt sie mit senkrechtem Rücken vor einem Tisch, der die Waagrechte und dessen Beine die Senkrechte betonen. Wäre das abstrakte Bild nicht vierzig Jahre später als das Genrebild entstanden, könnte man es, erklärt uns der Kurator der Ausstellung, Ulf Küster, auch als geometrische Skizze betrachten, die für den Bildaufbau des frühen Gemäldes gedient haben könnte.
Es geht Mondrian in seiner Kunst um das Wesen der Dinge. Er befasste sich intensiv mit Goethes Farbenlehre und vertiefte sich in theosophische und anthroposophische Schriften. Von Rudolf Steiner, den er als Vortragsredner kannte, war er so fasziniert, dass er ihm 1921 seinen berühmt gewordenen Aufsatz «Le Néo-Plastizisme» zusandte. Es ist nicht bekannt, ob Steiner ihm geantwortet hat.
Vom Baum zum Raster
Mondrian entwickelt seine Abstraktionen, indem er sich an konkreten Bildmotiven abarbeitet. Auf dem Gemälde «Abend: Der rote Baum» aus dem Jahr 1908 streckt ein einzelner Baum sein rot-schwarzes Geäst wie ein zerzaustes Spinnennetz in den blauen Abendhimmel. Eine kubistische Abwandlung dieses Motivs – Mondrian lebt seit 1911 in Paris und lernt dort die Kubisten Picasso und Braque kennen – erscheint dann 1912 auf einem blauen, in rechte Winkel zersplitterten Hintergrund. In der Ausstellung, die mit fantastischen Werkgruppen auftrumpfen kann, hängt in unmittelbarer Nähe dazu ein im selben Jahr entstandener «Blühender Apfelbaum», der sich beinahe in einer tänzerisch leichten, aus stilisierten, leicht kolorierten Blattformen bestehenden Bildfläche auflöst.
Die Strukturen der Natur
Einen Höhepunkt dieser Ausstellung bildet die Serie von Bildern eines «Bauernhofs bei Duivendrecht», einem Vorort von Amsterdam. Das Gebäude befindet sich auf einer Halbinsel und ist von hohen Bäumen umgeben. Das Motiv findet sich erstmals im Frühwerk des Malers, 1905. Elf Jahre später – Mondrian musste zu Beginn des Ersten Weltkriegs Paris verlassen und kehrte nach Holland zurück – experimentierte er damit, wie der Bauernhof in hellem und dunklem Licht wirkt, wie er sich im Wasser spiegelt und wie sich die Baumgruppe vor dem Gebäude wie ein Vorhang zwischen Betrachter und Bauernhof aufziehen lässt.

Auf dem schönsten Bild dieser Serie stellen sich die Bäume mit ihren feinziselierten, geradezu ornamentalen Kronen schützend vor den Bauernhof, der auf seiner Insel zu schwimmen scheint und sich im Wasser spiegelt, sodass ein unwirklich erscheinendes, halb virtuelles Gebilde entsteht. Das Bild befindet sich im Art Institute of Chicago und wird in der Fondation in der Gesellschaft von drei weiteren, nicht weniger spannenden Werken gezeigt, die mit demselben Motiv in zunehmender Dämmerung experimentieren. Dabei nehmen die Bäume und Äste eine immer bedrohlichere Form an.
Ein Feuerwerk von Farben
Eine weitere, nicht weniger interessante Werkgruppe zeigt eine Windmühle, die, wie in Holland üblich, als Wasserpumpe eingesetzt wurde. Mondrian malt sie 1917 mehrmals im Dämmerlicht, um herauszufinden, wie sie ihre Farbigkeit verliert und spätabends nur noch als schwarzer Schemen beziehungsweise reine Form in den von dunkelblauen Wolken übersäten Himmel ragt. Geradezu verrückt in der Farbgebung ist das aus dem Jahr 1908 stammende Gemälde einer Mühle im nordholländischen Dorf Winkel, das ebenfalls in diesem Raum hängt. Es zeigt in einer Malweise, die an Van Goghs Pinselhiebe erinnert, eine rote Mühle vor einem gelb leuchtenden Sommerhimmel, der von hellblauen Flecken durchsetzt ist.

Es sind solche extrem erscheinenden Farbexperimente, die auf das Spätwerk mit den weltberühmten Rasterbildern vorausweisen. Mondrian setzt in den 1920er- und 1930er-Jahren – nun lebt er wieder in Paris, bis er 1938 wegen der Kriegsgefahr nach London und dann nach New York zieht – ganz auf Abstraktion. Zuerst füllt er seine sich im rechten Winkel kreuzenden Linien mit Gelb, Rot, Blau, Schwarz und diversen Grautönen, dann wechselt er zu einer rein weissen Leinwand und bündelt die Linien zu Zweier- und Dreiergruppen, sodass sich auf den Leinwänden, die an architektonische Grundrisse erinnern, ein visueller Rhythmus erspüren lässt.
Das Wahre und Schöne
Vereinzelt setzt er in seine Strukturen bunte Quadrate und Rechtecke, die den Gemälden jene Harmonie verleihen, die Mondrian schon in einem Brief an seinen Förderer H.P. Bremmer vom 29. Januar 1914 anstrebte. Damals beschrieb er die Abstraktion als einen Prozess der Annäherung an absolute Wahrheit und Schönheit, nach der er als Künstler strebe. Ihm ginge es darum, «auf einer planen Fläche Linien und Farbkombinationen» zu konstruieren, «zu dem Zweck, die allgemeine Schönheit so bewusst wie möglich darzustellen».

Die Fondation Beyeler, die diese Ausstellung zusammen mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und dem Kunstmuseum Den Haag konzipiert hat, inszeniert Mondrians Spätwerk auf einem Saalgrundriss, der von einem der abstrakten Mondrianbilder stammen könnte. Auf vier nicht miteinander verbundenen, rechtwinklig in den Raum gestellten Stellwänden bekommen die Bilder einen Soloauftritt, während sich von jedem Standpunkt im Raum andere Blickachsen eröffnen, die den Besuchern immer wieder neue Beziehungen und Vergleiche nahelegen.
Die Ausstellung «Mondrian Evolution» in der Fondation Beyeler in Riehen dauert bis zum 9. Oktober 2022.
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