
In der EU sind selbstverständlich alle gleich. Aber ein deutscher Regierungschef steht im Kreis der Mächtigen automatisch im Mittelpunkt, allein durch die Grösse des Landes und die Wirtschaftsmacht, die er vertritt. Angela Merkel war sich dieser Rolle bewusst. Sie hat zwar selten proaktiv gestaltet, aber immer versucht zu moderieren und Kompromisse zu schmieden. Sie hat die Beziehung zum Bewohner des Élysée-Palasts immer gepflegt, aber auch die kleineren Mitgliedstaaten nicht vergessen.
Von ihrem Nachfolger kann man das nicht sagen. Olaf Scholz ist so isoliert wie keiner seiner Vorgänger. Das war am EU-Gipfel zur Energiekrise gut zu beobachten. Auch Emmanuel Macron hält sich zwar für den Schlausten in der Runde. Aber Olaf Scholz trägt den Besserwisser besonders penetrant vor sich her. Im Kreis der europäischen Partner kommt es noch schlechter an als zu Hause, immer schon alles früher und besser gewusst zu haben.
Deutschland versagt derzeit schmerzlich in der Rolle als Führungsmacht in Europa.
Dabei ist es Olaf Scholz, dem einfach zu viele Fehler unterlaufen sind. Da ist einmal die zögerliche Unterstützung für die Ukraine, Opfer der russischen Aggression. Ganz am Anfang machte sich Deutschland mit dem Angebot lächerlich, 5000 Helme nach Kiew zu schicken. Inzwischen liefert Berlin auch schweres Kriegsgerät, aber immer spät und zu wenig. Ohne die USA und Grossbritannien gäbe es die Ukraine nicht mehr. Deutschland versagt derzeit schmerzlich in der Rolle als Führungsmacht in Europa.
Egoismus der Deutschen
Das kostet Deutschland in Osteuropa massiv Ansehen und Glaubwürdigkeit. Der Sozialdemokrat Scholz schleppt da den ganzen Ballast der naiven Russlandnähe seiner Genossen mit sich. Der Vertrauensverlust wiegt schwer, der Graben zwischen Balten, Osteuropäern und Deutschland ist bereits bedenklich tief. Es war ein historischer Fehler deutscher Regierungen, Europas Abhängigkeit von russischer Energie entgegen allen Warnungen bis zuletzt zu zementieren.
Deshalb kommt es besonders schlecht an, wenn Olaf Scholz jetzt in der Energiekrise die Solidarität zu verweigern scheint und lieber auf nationale Lösungen setzt. Der deutsche Kanzler hat sein 200-Milliarden-Euro-Hilfspaket für Haushalte und Firmen zu Hause als «Doppelwumms» verkauft. Allein die Wortwahl ist eine Dummheit. Kein Wunder, empören sich die Nachbarn über den nationalen Egoismus der Deutschen. Olaf Scholz hat nicht zuletzt ein grosses Kommunikationsproblem in Europa.

Aber nicht nur. Anfang November fährt der Kanzler nach Peking, begleitet von einer grossen Wirtschaftsdelegation. Dabei diskutiert die EU gerade, wie sie ihre massive Abhängigkeit von Chinas autoritärem Regime reduzieren kann. In Berlin hat man die Zeichen der Zeit nach dem Russland-Desaster offenbar immer noch nicht erkannt. Da passt es, dass Olaf Scholz den Verkauf eines Terminals am Hamburger Hafen an einen chinesischen Staatskonzern gegen den Willen seiner Koalitionspartner durchdrücken will und alle Warnungen in den Wind schlägt. Die EU braucht Olaf Scholz. Noch ist es nicht zu spät dafür, dass der deutsche Bundeskanzler seine Rolle im Kreis der europäischen Partner findet.
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Kommentar zum EU-Gipfel – Die EU braucht Olaf Scholz
Mit seiner zögerlichen Unterstützung für die Ukraine hat Olaf Scholz Deutschlands Position in Osteuropa massiv geschadet, und auch mit Frankreich stimmt die Chemie nicht. Das ist schlecht für die EU, aber auch für Deutschland.