«Die Hutzenlaub wurde traumatisiert»
ZÜRICH. Die Komödiantin Fritz Bisenz hat die Acapickels mitgegründet und geprägt. Heute tritt sie wieder mit ihrer Figur Barbara Hutzenlaub auf. Dahinter stecke keine Verkaufsstrategie, sondern die Sehnsucht nach der Frau am Rande der Gesellschaft, wie sie sagt.
Sie bringen als Kabarettistin die Menschen zum Lachen. Was bringt Sie selbst zum Lachen?
Fritz Bisenz: Ich lache relativ viel und liebe auch den bösen Humor. Ich mag Situationskomik, Unvorhergesehenes, komische Begegnungen, Missverständnisse. Was ich nicht lustig finde, sind diese «Pleiten, Pech und Pannen»-Filmli, die zeigen, wie jemand in ein Loch fällt und sich dabei wehtut. Wenn jemand leidet, ist es nicht lustig. Auch voraussehbare Pointen finde ich nicht lustig.
Was verstehen Sie unter gutem Humor?
Humor entsteht immer, wenn dahinter ein Drama steckt. Das unterscheidet gute von schlechter Komik. Schlechte Comedy ist, wenn jemand einfach Witze erzählt. Je mehr Drama hinter der Bühnenfigur steckt, desto tiefer berührt sie – auch in ihrer Lustigkeit.
Damit sind wir beim «Drama» von Barbara Hutzenlaub, der Figur, die Sie als früheres Mitglied von Acapickels und auch heute wieder verkörpern. Welches Drama steckt in ihr?
Sie hat eine Riesenbiografie. Sie wuchs mit einem Bruder in der Spätzle-Bronx auf der Schwäbischen Alb auf, heiratete früh einen Metzger, der später Polizist wurde und an Rinderwahnsinn starb. Sie musste mit Übergriffen leben und wurde früh traumatisiert.
Übergriffe? Traumatisiert?
Ja, sonst wäre sie nicht so, wie sie ist. Man begegnet im realen Leben manchmal solchen Menschen und denkt: Das ist jetzt so eine wie die Hutzenlaub. Ihre Traumatisierung kommt auf der Bühne nicht vor, aber in der Vorbereitung war die Biografie der Figur sehr wichtig. Ihre Bühnenpartnerin Lotti Stäubli etwa ist mit zehn Brüdern aufgewachsen, wurde ständig übersehen, sodass ihre Mutter sie gar nicht mehr kannte. Vielleicht hat sie deshalb als 8-Jährige den Saustall abgefackelt. Jede Figur hat ihre Geschichte. Und diese hat Auswirkungen auf das, was sie auf der Bühne erzählt.
Kennen Sie auch Barbara Hutzenlaubs Zukunft?
Das nicht, ich kenne ja auch meine eigene nicht. Aber ich kenne ihre Träume, was sie gerne machen würde, beispielsweise eine Karriere in der Haute Couture, eine grosse Hundeshow. Oder einmal mit einem Männerballett für den Frieden tanzen.
Wie viel Hutzenlaub steckt in Ihnen?
Bei der Recherche der Figur habe ich darauf geachtet, dass sie alles das gerne hat, was ich selbst nicht mag, was möglichst weit von mir entfernt ist. Aber ich identifiziere mich heute auch mit ihr. Ich habe mich eine Woche lang als Barbara Hutzenlaub im Alltag bewegt. Ich wollte herausfinden, welcher Musiksender ihr gefällt, was sie gerne isst und trinkt, was ihre Hobbys sind.
Sie machen nicht Politsatire. Doch blitzen in Ihren Programmen auch politische Themen auf. Sind Sie ein politischer Mensch?
Ja bestimmt. Wenn man als Frau nicht in der Masse untergehen will, muss man ein Stück weit emanzipiert sein und ein politisches Bewusstsein an den Tag legen.
Sind Sie Feministin?
Auf jeden Fall. Solange es Tatsache ist, dass Männer für gleiche Arbeit mehr Geld verdienen, muss mir keine Frau erzählen, sie wolle nicht Feministin sein, weil sie den Männern nicht an den Karren fahren will. Fahren wir den Männern so lange an den Karren, bis gleiche Verdienste normal sind! Das ist für mich gar keine Frage.
Wie drücken Sie dieses politische Statement aus?
Ich bin selbstständig, also meine eigene Chefin. Wir sind sogar zwei Chefinnen. Meine Partnerin Jasmin Clamor und ich tun das, was wir wollen. Wir bestimmen, wo und wann wir spielen, was wir auf der Bühne erzählen. Ich bestimme mein Leben als selbstständig denkender Mensch. Mehr politisches Statement kann ich nicht abgeben. Das ist meine Form, einen Beitrag zur sozialkritischen Auseinandersetzung zu leisten.
Wollten Sie sich nie als politische Kabarettistin etablieren?
Nein, aber als wir mit Acapickels Anfang der 90er-Jahre begannen, wollten wir Frauen darstellen, die man so auf der Bühne noch nie gesehen hatte. Nicht schöne Frauen im «kleinen Schwarzen», sondern Frauen am Rand der Gesellschaft in altmodischen Kostümen. Wir dachten uns, wenn uns die Leute schon zuhören wollen, dann nutzen wir doch diese Plattform für unsere Aussagen. Ein sozialer Seitenhieb war immer Bestandteil unserer Programme.
Sprechen Sie mehr ein links- oder ein rechtsorientiertes Publikum an?
Wohl beides. Aufgrund der Figuren, die eher das Währschafte verkörpern mit Deuxpièces und Stützstrümpfen, könnte man meinen, die Figuren seien eher rechts. Aber im Innern flackert auch linkes Gedankengut auf … Innen links, aussen rechts sozusagen. Also am besten ist immer links-rechts gestrickt .
Was offenbar immer zieht, ist das Thema Wechseljahre und Männer. Warum?
Das ist und war nicht die Absicht. Aber bei diesen ältlichen Frauen, die da so alleine und irgendwie verloren auf der Bühne stehen, stellt sich einfach rasch die Frage: Sind die alleinstehend?
Viele haben das Ende von Acapickels bedauert. Warum kam es dazu?
Es war wie in einer Beziehung zwischen Mann und Frau. Wir haben alle Instanzen der Konfliktlösung durchgemacht und sahen keine gemeinsame Zukunft mehr. Interessen und Meinungen waren zu verschieden. Würde man zusammenbleiben, würde man krank werden. Wir hatten nicht Streit, jede von uns entwickelte über die Jahre einfach andere Bedürfnisse. Und so beschlossen wir, unsere eigenen Wege zu gehen. Doch vorher entwarfen wir unser letztes Programm und zogen es bis zum Ende durch.
Als erfolgreiche Truppe steht man auch unter Druck, Sie führten ein langjähriges Unternehmen. Da stehen auch existenzielle Fragen auf dem Spiel.
Ja, wir haben ein riesiges Imperium aufgelöst. Das war mir damals nicht bewusst. Ich stürzte mich sofort in neue Projekte. Erst später kam eine gewisse Wehmut, und ich dachte: Mein Gott, was haben wir da bloss aufgegeben!
Bereuen Sie die Trennung manchmal?
Nein, es geht uns allen gut.
Zuerst haben Sie es mit Jasmin Clamor als Gessler-Zwillinge versucht. Jetzt treten Sie wieder als Acapickels-Figuren auf. Weil Ihnen damit der Erfolg garantiert ist?
Nein. Wir hatten zunächst einfach Lust auf etwas Neues und traten während vier Jahren auf. Dann aber war das Zwillingsthema ausgeschöpft. Dass wir zu den alten Figuren zurückkehrten, hat nichts mit Verkaufsstrategie zu tun. Wir hatten Sehnsucht nach ihnen.
Wie kam es, dass Sie mit Jasmin Clamor und nicht mit einer anderen Ex-Acapickel zusammenarbeiten?
Wir ergänzen uns künstlerisch, weil wir sehr verschieden sind. Wir haben aber auch Gemeinsamkeiten. Wir sind beide sehr Fleissige, richtige «Schafferlis». Und wir können beide extrem gut Kritik annehmen. Dies ist neben Talent, Erfahrung und einer guten Diskussionskultur eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit. Wir haben das Vertrauen ineinander, dass jede immer ihr Bestes gibt. Wir schätzen und respektieren uns sehr. Aus unserer Zusammenarbeit ist auch eine Freundschaft entstanden.
Sie sind Mitgründerin des Casinotheaters Winterthur, das 2002 eröffnet wurde. Was hat dieses Haus in der Kabarett- und Comedyszene verändert?
Es hat unserer Kultursparte einen höheren Stellenwert verliehen. Es zeigt, dass Kleinkunst in einem gehobenen und professionellen Umfeld stattfinden kann. Als Künstlerin werde ich hier willkommen geheissen, in der Garderobe finde ich ein Blüemli oder ein Schöggeli, eine kleine, aber feine Geste des Hauses. In anderen Häusern kommt es vor, dass ich zuerst den Müll aus der Garderobe wegräumen muss, bevor ich meine Kostüme ablegen kann. Weil Künstler dieses Haus betreiben, ist es nach deren Bedürfnissen ausgerichtet. Dieser Anspruch an ein gehobeneres Niveau hat andere Häuser sicher beeinflusst.
Wie wird die Kleinkunst behandelt, wenn es um die Verteilung der Subventionskuchen geht?
Halten wir mal fest: Für Fussball und Sport steht immer sehr viel Geld zur Verfügung, und wir vom Theater müssen uns Subventionen untereinander aufteilen. Diese sind im Unterschied zu einem Fussballstadion so gross wie ein Fussball. Da ist es kein Wunder, dass bei der Aufteilung immer jemand zu kurz kommt. Auch die Beurteilung der jeweiligen Kommissionen, was Kunst ist und was nicht, hinterlässt bei mir manchmal grosse Fragezeichen. Ich dachte immer, dass ich seit Jahren Kunst mache. Ich schreibe meine Texte selbst, komponiere, konzeptioniere, inszeniere, entwerfe die Kostüme und das Bühnenbild. Aus dieser Perspektive ist es schwer zu akzeptieren, wenn ein Unterstützungsgesuch abgelehnt wird mit der Begründung, dass das keine Kunst sei.
Weihnachten steht vor der Tür. Welchen Wunsch haben Sie?
Die Welt steckt wie ich in den Wechseljahren. Denken wir nur an die drohende «Klimakteriumkatastrophe». Es geht der Welt im Moment nicht anders als Lotti und Barbara. Zuerst schwitzts, dann trocknets aus. Wer soll unsere Mutter Erde retten, wenn nicht wir selbst. Auch wünsche ich mir mehr Bescheidenheit, insbesondere von den reichen Leuten hier in der Schweiz. Sie sollten darüber nachdenken, dass sie auch dank der guten Bedingungen in diesem Land reich werden konnten. Ich erwarte von ihnen, dass sie dem Land etwas zurückgeben, statt immer mit der Abwanderung ins Ausland zu drohen, sobald von Steuern die Rede ist.
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