Die Kleider der Freiheit
Sexarbeiterinnen präsentierten am Donnerstagabend in der Labor-Bar in Zürich ihre selbst genähten Kleider. Die von der Stadtmission organisierte Modeschau war eine bewegende Demonstration für ein selbstbestimmtes Leben.

Sie lächeln. Sie lachen. Sie strahlen. Und treten erhobenen Hauptes vor das Publikum. Sie sind Prinzessinnen für einen Abend. Mindestens. Denn die Sexarbeiterinnen, die am Donnerstag in der übervollen Labor-Bar auf den Laufsteg traten, präsentierten mehr als ihre selbst genähten Kleider. Alle Frauen umgab die Aura des Sieges. Der Benefizabend der Zürcher Stadtmission mit Modeschau und Musik war deshalb eine Demonstration – eine würdevolle Demonstration von stolzen Freiheitskämpferinnen. Von Frauen, die ihrem Leben eine Wende geben wollen.
Denn klar ist: Frauen, die ihren Körper an wildfremde Männer verkaufen, tun dies zu 98 Prozent aus wirtschaftlicher Not. Das belegen Umfragen. Wer sich prostituiert, tut dies selten freiwillig. Viele Sexarbeiterinnen träumen deshalb von einem neuen Leben.
«Ich möchte nähen lernen»
Zwar versteht sich das Beratungsbüro Isla Victoria von der Stadtmission, das Frauen im Sexgewerbe in ihrem Alltag beisteht, nicht als Ausstiegshilfe. Doch wenn die Sexarbeiterinnen von sich aus den Wunsch äussern, sich nicht mehr prostituieren zu wollen, stehen die Mitarbeiterinnen der Anlaufstelle den Frauen gerne mit Rat und Tat zur Seite. Auch das vor zwei Jahren gegründete Nähatelier von Isla Victoria ist letztlich aus einer Anfrage einer Sexarbeiterin entstanden. «Ich möchte gerne nähen lernen», sagte damals eine Frau zu einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle. Aus dem Wunsch entstand schliesslich ein Pilotprojekt und etwas später dann das heutige Nähatelier, erzählt Beatrice Bänninger, Geschäftsführerin der Zürcher Stadtmission. Und sie weiss: «Die Nähschule gibt den Frauen Selbstvertrauen und eine neue Perspektive.»
Das erste Diplom
Bis zu 15 Sexarbeiterinnen nehmen derzeit am Nähunterricht in Zürich teil. «Absolut freiwillig, aus eigenem Antrieb», betont Bänninger. Geleitet wird die Schule von der italienischen Nählehrerin und Modedesignerin Marianna Piciuccio. Dank ihr hat es erst kürzlich eine der Frauen geschafft, ein europäisch anerkanntes Schneiderinnendiplom zu erlangen. Andere Frauen im Nähatelier nehmen sich nun diese Aussteigerin zum Vorbild. Auch wenn das von der Stadtmission und den Sexarbeiterinnen mitfinanzierte Angebot kein offizielles Ausstiegsprojekt ist, so nutzen es dennoch einige Frauen genau dafür.
Wie viel die Nähschule den Sexarbeiterinnen bedeutet, schilderten sie am Donnerstag in einem offenen Dankesbrief, der am Ende der Modeschau den Gästen vorgelesen wurde. Das Nähatelier sei für sie «mehr als nur eine Schule», schreiben die Frauen. Es sei für sie auch ein Ort der Solidarität und Toleranz. Und ein Ort mit «Aussicht auf einen Berufsabschluss».
Standing Ovation
Der anhaltende und warme Applaus, den die Sexarbeiterinnen und Laienmodels vom gut gelaunten Publikum erhielten, wurde am Schluss des Abends einzig noch von der Standing Ovation für Nählehrerin Piciuccio übertroffen. Diese war sichtlich gerührt. Und erleichtert über den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung. Denn 24 Stunden zuvor meinte sie noch: «Es herrscht ein Chaos.» Bis jetzt sei aber noch immer alles rechtzeitig fertig geworden. «Hoffentlich ist es auch dieses Mal so.» Piciuccios Hoffnung hatte sich erfüllt.
Heute Samstagkönnen die Kleider, die an der Modeschau in der Labor-Bar am Donnerstagabend gezeigt wurden, gekauft werden. Ort: Isla Victoria, Schöneggstrasse 24, 8004 Zürich. Zeit: 11 bis 17 Uhr.
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