Frauenrechte in SüdkoreaDie Machos schlagen zurück
Trotz einiger Fortschritte ringen Frauen in Südkorea immer noch um Gleichstellung. Aber vor der Präsidentschaftswahl haben die aussichtsreichsten Kandidaten ein anderes Thema entdeckt: Männerdiskriminierung.

Ihre Zukunft hat die Südkoreanerin Park Mi-jeong aus Seoul schon vor fünf Jahren nicht in die Hände starker Männer geben wollen. Die Präsidentschaftswahl 2017 war die erste, bei der sie ihre Stimme abgeben durfte. Damals wählte sie weder den letztlich siegreichen Favoriten Moon Jae-in von der Demokratischen Partei (DP) noch einen seiner konservativen Widersacher. Sondern die chancenlose Sim Sang-jung von der Gerechtigkeitspartei, weil sie fand, «wir brauchen eine Stimme, die Ahnung von Frauenrechten hat».
Immerhin, Moon hatte versprochen, er werde «der erste feministische Präsident». Deshalb hatte Park Mi-jeong bei dessen Amtsantritt gewisse Hoffnungen: mehr Gleichstellung in Südkoreas männerdominierter Gesellschaft, besseren Schutz gegen Missbrauch.
Aber heute? «Ich sehe keinen Unterschied.» Im Gegenteil. An diesem Mittwoch sind wieder Präsidentschaftswahlen, Moons Nachfolger wird gesucht. Lee Jae-myung von der regierenden DP und Yoon Suk-yeol von der konservativen Oppositionspartei PPP sind die aussichtsreichsten Kandidaten. Und beide haben die Geschlechter-Debatte umgedreht. «Die zwei grossen Jungs» – so nennt Park Mi-jeong die beiden Kandidaten – «haben Männerdiskriminierung zum Thema ihres Wahlkampfes gemacht.» Für sie fühlt sich das an, als kämen sie aus einer anderen Lebenswirklichkeit. «Solche Diskriminierungen gibt es nur in den Träumen der Männer», sagt sie.

Die Demokratie in Südkorea ist erst 35 Jahre alt. Sie hat sich gut entwickelt, seit Massenproteste 1987 das Ende der Diktatoren erwirkten. Und weil der Erfolg seiner Firmen das Land reich gemacht hat, kann es viel für Bildung, Gesundheit und Lebensstandard der Menschen tun. Aber man merkt Südkoreas Demokratie auch an, dass sie noch nicht viel Zeit hatte, eine Kultur des Streitens zu entwickeln. Sie ist gespalten, launisch und so laut, dass man die besseren Argumente kaum hört.
Der Wahlkampf zwischen Lee Jae-myung und Yoon Suk-yeol hat das besonders deutlich gezeigt. Selbst erfahrene Beobachter können sich nicht erinnern, dass zwei Kandidaten jemals so wenig über Lösungen und so viel über die Skandalgeschichten des jeweils anderen gesprochen haben. Viele Menschen in Südkorea haben deshalb das Gefühl, dass die Rivalen ihre Probleme nicht ernst nehmen. Vor allem Frauen. Die 26-jährige Angestellte Park Mi-jeong spricht nicht nur für sich, wenn sie sagt: «Ich glaube, den beiden Kandidaten sind Frauenrechte und Frauenleben egal.»
Park Mi-jeong sitzt in einem Café im Seouler Bezirk Gangnam. Draussen blinkt und braust der hauptstädtische Alltag. Sie ist direkt von ihrer Arbeit in einer Marketingagentur gekommen und trägt ihren Hosenanzug, den sie zwar nicht besonders mag, den ihr ein Ex-Chef aber mal empfohlen hat, um im Geschäftsleben von ihrer Jugend und ihrer Weiblichkeit abzulenken. Sie ist die Vertreterin einer Generation, die anders als ihre Mütter und Grossmütter keine Abstriche bei der Ausbildung machen musste und nun voll im Beruf steht. Park Mi-jeong hat an der Sungshin-Frauen-Universität Chinesisch studiert und neben Englisch auch Vietnamesisch gelernt, um bessere Berufschancen zu haben. Sie ist nachdenklich, kompetent, selbstbewusst – genau der Typ Frau, von dem sich viele Männer in Südkorea anscheinend bedroht fühlen.
Es gibt jetzt eine grosse anti-feministische Bewegung
Der Wettbewerb um gut bezahlte Jobs ist härter geworden, seit sich Frauen nicht mehr auf die Rolle als Haushälterin festlegen lassen. Entschlossener denn je wehren sie sich ausserdem gegen den Alltagsseximus, den viele Männer normal finden. Die Machos geraten unter Druck – und sie schlagen zurück. Eine grosse anti-feministische Bewegung ist gewachsen.
Männerbünde wie die Gruppe «Männer in Solidarität» organisieren Demonstrationen und Online-Kampagnen gegen Männer-Hass und weibliche Willkür, argumentieren, dass die Wehrpflicht sie benachteilige, und geben selbstbestimmten Frauen die Schuld an Südkoreas niedriger Geburtenrate. Männer-in-Solidarität-Chef Bae In-kyu sagte kürzlich in der New York Times: «Feministinnen sind ein soziales Übel.» In einer Umfrage der Zeitung Hankook Ilbo und des Meinungsforschungsinstituts Hankook Research im Mai 2021 fanden 78,9 Prozent der befragten Männer zwischen 20 und 29, dass «die Diskriminierung von Männern schwerwiegend» sei.
Die Präsidentschaftskandidaten haben das aufgegriffen. Der Konservative Yoon beschuldigte das Ministerium für Gleichstellung, eine für Männer unfaire Politik zu fördern. Er will es abschaffen und die Strafen für Falschanzeigen bei sexuellen Übergriffen erhöhen. DP-Mann Lee war achtsamer. Aber die Stimmen der jungen Männer will er eben auch. Im November 2021 sagte er vor dem Nationalen Frauenrat: «Genauso wie Sie nicht diskriminiert werden sollten, weil Sie Frauen sind, ist es nicht richtig, wenn man diskriminiert wird, weil man ein Mann ist.»
Diskriminierung ist immer falsch. Aber vorerst sieht es nicht so aus, als drohe Südkorea ein autoritäres Matriarchat. Frauen dagegen sollen Schönheitsstandards und vorgefertigten Rollenbildern genügen. Südkoreas Gesetze sind durchaus fortschrittlich im Sinne berufstätiger Mütter mit Mutterschutz und flexiblen Arbeitszeiten. Aber vermutlich bevorzugen viele südkoreanische Firmen gerade deshalb immer noch Männer. Park Mi-jeong hat es selbst erlebt: Ihre erste Anstellung strebte sie 2019 in einer Kosmetikfirma an. Elf Frauen und zwei Männer bewarben sich für drei Stellen. «Genommen wurden die zwei Männer und eine Frau.»
«Es gibt immer noch viel Diskriminierung gegen berufstätige Frauen», sagt Lee Sook-jong, Professorin für öffentliche Verwaltung an der Sungkyunkwan-Universität, «Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, werden seltener befördert, verdienen weniger.» Im Gender-Gap-Report des Weltwirtschaftsforums belegte Südkorea 2021 unter 156 Nationen Platz 102. Und auch wenn die «Me Too»-Debatte das Bewusstsein für sexuellen Missbrauch in Südkorea geschärft hat – viele Frauen sehen zu wenige Fortschritte beim Schutz vor Stalkern und anderen Sexualstraftaten.
«So viele Frauen sind gestorben»
«So viele Frauen sind gestorben», sagt Jinny Paik, 31, Planerin in einer Werbeagentur, eine weitere junge Südkoreanerin mit Ambitionen. Während ihrer High-School- und Studien-Jahre lebte sie in den USA. «Dort habe ich gelernt, gut begründet meine Meinung zu vertreten.» Es belastete sie, dass sie damit in Südkoreas hierarchischer Arbeitswelt vor allem bei älteren männlichen Vorgesetzten keine Chance hatte. Und jetzt sieht sie, wie die verdrehte Gleichstellungsdebatte selbst vom Thema Gewalt gegen Frauen ablenkt.
Schon vor Jahren ermittelte die Non-Profit-Organisation Korea Women's Hot Line, dass alle 1,8 Tage eine Südkoreanerin durch ein Sexualverbrechen stirbt. Und die Gefahr bleibt, sogar unter Polizeischutz. Erst Mitte Februar wurde eine Frau mutmasslich von genau dem Mann erstochen, dessentwegen sie von der Polizei eine Notfall-Smartwatch für Hilferufe bekommen hatte. Zwei ähnliche Fälle gab es schon im November und Dezember. «Es passiert wieder und wieder», sagt Jinny Paik, «das Rechtssystem im Kampf gegen Sexualstraftaten ist einfach zu schwach.»
Im Endspurt des Wahlkampfs bemühen sich die Kandidaten doch wieder um die Frauen. Er werde der «Frauensicherheits-Präsident», hat Lee Jae-myung verkündet. Yoon Suk-yeol verspricht etwas Ähnliches. Aber der schlechte Eindruck bleibt. Park Mi-jeong hat kein gutes Gefühl. «Die meisten meiner männlichen Freunde um die 20, 30 glauben nicht, dass Politik für Frauenrechte gebraucht wird», sagt sie. «Und die Frauen haben Angst, darüber zu reden, weil sie Konflikte befürchten.» Zu Recht, wie sie aus eigenem Erleben weiss. Park Mi-jeong hat Cartoons über ihre diskriminierenden Erfahrungen gezeichnet und auf Instagram veröffentlicht. «Danach», sagt sie, «hatte ich einige männliche Follower weniger.»
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