Interview mit Andy Schmid«Du opferst dein Leben für die Bundesliga»
Andy Schmid, der beste Handballer, den die Schweiz je hatte, tritt am Mittwoch in Winterthur mit dem HC Kriens-Luzern an. Vor seinem ersten Auswärtsspiel gegen Pfadi seit Mai 2009 spricht er über die Bundesliga, Wertschätzung, Pfadi und seine Schwester.

Andy Schmid, was sagt Ihnen die Sporthalle Auenfeld in Frauenfeld?
Das sagt mir nichts… (Nach einer Pause) Ah doch! Dort sind wir ja Meister geworden.
Genau, das war am 13. Mai 2009. Der Auswärtssieg über Pfadi reichte zum Titel für Amicitia Zürich. Was ist, kurz zusammengefasst, in Ihrer Karriere seither geschehen?
Es sind Sachen passiert, die ich nie erwartet hätte. 2009 ging ich ins Ausland ohne eine Ahnung, wohin mich mein Weg führen würde. Wenn ich jetzt auf diese 13 Jahre zurückblicke: Ich durfte alles erleben, was man im Handball erleben kann. Es macht mich stolz, dass ich das alles in der Bundesliga, in einem fremden Land geschafft habe. Die Wertschätzung, die ich bei meinem Abschied von den Rhein-Neckar Löwen, von den Zuschauern und Gegnern erfahren durfte, hat mich überwältigt. Es zeigt, dass ich offenbar vieles richtig gemacht habe. Natürlich gab es auch schwierige Momente, mehr Enttäuschungen als schöne Erfolgserlebnisse. Das erste Jahr bei den Löwen war ich auf dem Abstellgleis. Wir haben böse Niederlagen erlitten, Meisterschaften verspielt und Finals verloren. Doch man muss bereit sein, Rückschläge zu verarbeiten. Sonst schafft man es nicht, so lange vorne mit dabei zu sein.

«Die einzigen Momente, um abzuschalten, sind die Stunden im Bus auf der Fahrt von einem Auswärtsspiel nach Hause.»
Was vermissen Sie an der Bundesliga?
Nicht viel. Klar wäre ich gerne an einem Spitzenspiel wie letzten Sonntag gegen Kiel gewesen. Aber das ist die Spitze des Eisbergs. Denn es ist so: Du opferst dein Leben für die Bundesliga. Die Saison dominiert alles, man kann nie durchschnaufen. Die einzigen Momente, um abzuschalten, sind die Stunden im Bus auf der Fahrt von einem Auswärtsspiel nach Hause. Das kann man geniessen, da ist Ruhe. Am nächsten Tag wachst du auf und weisst, dass du schon bald wieder liefern musst. Die grossen Spiele sind selten. Der Rest ist arbeiten, trainieren, reisen und verzichten. Das ist schon heavy.
Und wie ist es hier?
Ich spüre zum ersten Mal, dass ich durchschnaufen kann. Letztes Wochenende hatten wir spielfrei, ich habe es mit der Familie genossen und konnte mit den Kindern abschalten. In der Bundesliga wäre das nicht möglich gewesen. Da hätte ich das ganze Wochenende über ans nächste Spiel gedacht.
Das heisst, dass sie die Meisterschaft in der Schweiz locker nehmen?
Auf keinen Fall! Ich hatte grossen Respekt davor, zurückzukehren. Ich stand im Fokus: Kann er es noch bringen? Vor dem ersten Spiel hatte der Boiler Überdruck. Zum Glück konnten wir Pfadi dann besiegen.
Und seither zeigen Sie, wie brillant Sie weiterhin sind.
Das ist nett, danke. Es war mir sehr wichtig, etwas zu bieten. Ich will meine Karriere nicht «ausplämpern» lassen. Das bin ich in erster Linie mir gegenüber schuldig, aber auch dem Verein und der Handballschweiz.
Nach zwölf Bundesliga-Jahren bei den Rhein-Neckar Löwen kehrten Sie in Ihre engere Heimat zum HC Kriens-Luzern zurück. Etwas Anderes kam nicht in Frage?
Doch: Aufhören. Eigentlich hatte ich ja immer gesagt, dass ich bei den Löwen meine Karriere beenden möchte. Die Corona-Saisons waren dann nicht befriedigend, die Zuschauer fehlten, wir hatten auch sportlich eine schwierige Zeit. Deshalb hatte ich das Gefühl: Das kann es nicht sein, so kann ich nicht aufhören. Es war dann schon klar, dass ich zum HC Kriens-Luzern wechseln würde. Obwohl ich nicht aus diesem Verein bin. Aber das ist meine Region, der Ort für einen schönen Abschied. Ich kann dort meine Reise beenden, wo sie begonnen hat. Es hätte sehr viel nicht passen müssen, damit ich mich nicht für Kriens entschieden hätte.
«Ich spüre, dass mein Körper sagt, es sei jetzt langsam genug.»
Den Wechsel zu einem anderen Club hätten Sie Ihrer Schwester, die in der HCK-Geschäftsstelle arbeitet, wohl nicht antun dürfen…
Der Familienfriede wäre trotzdem intakt geblieben… Dass sie für den Club arbeitet, ist ein schöner Nebeneffekt. Allerdings hatte das auch unnötigen Druck verursacht. Sie hätte sich ein paar Sprüche anhören müssen, wenn ich durch die Halle geschlichen wäre und meine Leistung nicht gebracht hätte. Ich musste auch für sie gut spielen.
Sie haben einen Vertrag für diese Saison mit Option für eine weitere. Die neue Halle in Kriens soll 2025 stehen. Spielen Sie bis dann?
Die EM 2024 in Deutschland ist ein grosser Ansporn für mich. Falls wir uns qualifizieren, möchte ich dort dabei sein. Ich spüre, dass mein Körper sagt, es sei jetzt langsam genug. Solange ich Spass habe und einigermassen Wirkung zeige, werde ich spielen. Aber die neue Halle schaffe ich sicher nicht.
Was muss passieren, damit Ihre Karriere restlos abgerundet ist?
Ich weiss, was Sie meinen: den Meistertitel… Klar wäre das fantastisch. Aber ich denke nicht so. Das tönt jetzt etwas romantisch: Entscheidend für mich ist, dass ich einen Abschluss machen kann, den ich mir gewünscht habe, dass ich in die Hallen gehen, Leute treffen und vielleicht eine Bewegung auslösen kann, dass viele Zuschauer, auch Kinder, kommen. Handball hat mein ganzes Leben geprägt, ich möchte dem Sport so etwas zurückgeben.
Wie stehen die Chancen auf den Titel? Es zeichnet sich ein Dreikampf zwischen Kriens-Luzern, Pfadi und den Kadetten Schaffhausen ab.
In der Schweiz ist der Weg zum Titel weniger steinig als in der Bundesliga, wo man 34 Spiele lang konstant auf bestem Niveau spielen muss. Hier kann man als Achter ins Playoff rutschen und dann in neun Spielen Meister werden. Gegenüber den Kadetten haben wir und Pfadi weniger Breite im Kader. Wenn sich im März vor dem Playoff Stammspieler verletzen, kann man auch im Viertelfinal ausscheiden. Die Kadetten können Ausfälle am ehesten kompensieren.
«Pfadi ist ein gutes Beispiel für einen Verein, der eine Strategie und eine eigene DNA entwickelt hat.»
Nach Verlustpunkten ist ihr Team Leader. Sie dürften zufrieden sein.
Mit den Punkten schon. Aber wir hatten ein paar zähe Spiele. Von den acht Spielen, die wir gewonnen haben, hätten wir auch vier verlieren können.
Wie schätzen Sie die Winterthurer derzeit ein?
Ich hätte wegen ihres Umbruchs nicht damit gerechnet, dass sie nach neun Spielen so weit vorne sind. Doch Pfadi ist ein gutes Beispiel für einen Verein, der eine Strategie und eine eigene DNA entwickelt hat. Dadurch können die Neuen schneller ins System finden – das mit Unterstützung von Spielern wie Cédrie Tynowski, Kevin Jud oder Stefan Freivogel, die seit Jahren das Pfadi-Gen haben. Auch Goran Cvetkovic (der Trainer, die Red.) ist nicht erst seit gestern in Winterthur. Das hohe Niveau wurde über Jahre hinweg gehalten.
Borba Luzern, ihr Stammclub, und Pfadi duellierten sich vor 30 Jahren um den Meistertitel. Haben jene Erfolge Sie beeinflusst, eine Handballkarriere zu starten?
Ich habe schon vorher bei Borba mit Handball begonnen, 1989 war es. Ich war 1993 in der Saalsporthalle im entscheidenden Spiel gegen Pfadi, als Jae-Won Kang kurz vor Schluss den Penalty übers Tor warf. Borba gewann so 17:16 und wurde zum ersten Mal Meister. Diese Zeit habe ich nahe miterlebt, oft war ich in unserer Halle im Putzeinsatz… Ob mich die Erfolge beeinflusst haben? Als Jugendlicher ist es auf jeden Fall besser, wenn man im eigenen Club erfolgreiche Vorbilder hat. Wenn man dadurch merkt, dass es sich lohnen könnte, viel in den Sport zu investieren und diesen Weg zu gehen. Bewusst waren mir solche Gedanken nicht, aber im Hinterkopf spielten sie sicher mit.
Und wie geht diesen Mittwoch das Duell, Ihr erstes Auswärtsspiel gegen Pfadi seit Mai 2009, aus?
Klar ist es ein Spitzenspiel, es wird interessant. Andererseits kann man mit 15 Toren Unterschied gewinnen und hat dennoch keine Sicherheit, Meister zu werden. Es ist eine Momentaufnahme. Ich tippe auf 27:27, weil beide Mannschaften damit wohl gut leben könnten.
Viele Zuschauer in der Schweiz kommen nur wegen Ihnen in die Halle, das wird auch in Winterthur so sein. Was bedeutet Ihnen das?
Das ist eine sehr schöne Anerkennung dafür, dass ich in den letzten Jahren etwas bewegt habe, dass die Leute mich auch verfolgt haben. Das nehme ich als mega Wertschätzung entgegen. Es ist für mich persönlich, andererseits auch für den ganzen Handball schön, dass mehr Leute, auch Kinder, in die Halle kommen.
Auenfeld liegt weit zurück. Ihre Erinnerungen an die Axa-Arena?
Ich habe viele Erinnerungen an sie – ob Yellow Cup oder Länderspiele. Vor allem das knappe Spiel gegen Dänemark in der EM-Qualifikation vor anderthalb Jahren war speziell, obwohl es ohne Zuschauer stattfand. Jetzt freue ich mich riesig auf den Match gegen Pfadi in einer hoffentlich vollen Axa-Arena.
Pfadi – Kriens-Luzern, Axa-Arena, Mittwoch, 19 Uhr

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