Ein Zeitzeuge, wohnlich renoviert
Wer ein altes Haus zum Umbauen sucht, braucht Geduld und Glück. Die Familie Röttger hatte beides und wohnt nun modern in historischer Substanz. Beim Bauen erlebte sie freudige Überraschungen und auch weniger schöne – doch das ist nun vergessen.
Die Gutenbergstrasse ist eine ruhige Quartierstrasse in Winterthur-Töss, an der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Der Strassenbelag ist nicht der neueste und von Neubauten fehlt jede Spur: Auf ihrer Nordseite stehen immer noch die fünf Häuser, die in den 1890er-Jahren entstanden sind.
Und auch auf der Südseite hat sich nichts geändert: Das Gutenberg-Schulhaus mit Turnhalle wurde 1891 erstellt und die reformierte, Kirche sogar bereits 1855. Auch die grosszügigen Grünflächen, die diese Bauten umgeben, blieben bis heute erhalten.
Im modernen Luxus unwohl gefühlt
In dieser Tössemer Idylle hat die Familie Röttger ihr neues Zuhause gefunden. Zwar erst nach längerer Suche, dafür entspricht es nun genau ihren Vorstellungen: Ihr Traum war ein Haus mit möglichst viel alter Substanz. Und deswegen sind sie vor zweieinhalb Jahren sogar extra aus dem Aargau nach Winterthur gezogen.
«Es war ein ganz bewusster Entscheid: Wir hatten die Stadt anlässlich einer Hausbesichtigung kennen gelernt und sofort gemocht», erzählt Nicola Röttger. Auch lebten sie zuvor in einer komplett anderen Wohnsituation: In einem modernen Bau mit Pool, Wintergarten und «allem Schischi», wie sie sagt. «Trotzdem fühlten wir uns dort nicht ganz wohl.»
«Es waren einige Objekte darunter, die uns sehr gut gefallen hätten, aber wir wurden leider nicht ausgewählt.»
Als Übergangslösung wohnten die Röttgers hier zunächst in Miete – und besichtigten viele Häuser: «Es waren einige Objekte darunter, die uns sehr gut gefallen hätten, aber wir wurden leider nicht ausgewählt.»
Doch das Dranbleiben lohnte sich: Im März 2016 erhielten sie den Zuschlag für ihr neues Haus: «Wir hatten ein Riesenschwein: Ein bisschen Garten, ein Waschhäuschen, keine grossen Umbauten – alle unsere Wünsche wurden erfüllt!», schwärmt sie. «Wir haben von Anfang an gemerkt, dass das ein richtiges Wohlfühlhaus ist!»
Freudige und weniger schöne Überraschungen
Beim Objekt handelt es sich um ein Drei-Familien-Haus von 1895, das sie direkt vom Vorbesitzer erwerben konnten. «Die Substanz war in all den Jahren kaum angetastet worden, einiges musste also schon daran gemacht werden», erzählt sie. «Fenster, Dämmung und technische Infrastruktur waren veraltet und es hatte zwar viele, aber für heutige Bedürfnisse etwas zu kleine Zimmer.»
Zu den freudigen Überraschungen gehörte, dass unter den Laminatböden alte, gut erhaltene Holzböden zum Vorschein kamen. Es gab aber auch weniger Erfreuliches: An einigen Stellen wurde Asbest entdeckt, der vor Beginn der Umbauarbeiten durch Spezialisten entsorgt werden musste.
Mit Hilfe des Architekturbüros von Hannes Moos, Winterthur, der als Spezialist für alte Bausubstanz gilt und bereits das benachbarte, ebenso original erhaltene Haus der «Eisenwaren-Handlung Lehmann» von 1897 umgebaut hatte, wurde das Projekt angegangen – wobei die Bauherrin Nicola Röttger auch viele ihrer eigenen Ideen und Vorstellungen einbrachte.
Im Oktober 2016 war Baubeginn und im Frühjahr 2017 war der Innenumbau abgeschlossen. Die Umgebungsarbeiten sind noch im Gange, die Fassade soll später renoviert werden.
Ein Haus voller Geschichte und Geschichten
Im Inneren ist ein pfiffiger, alt-moderner Mix mit vielen ausgesuchten Dekorationsobjekten im Shabby-Chic-Stil entstanden: Man merkt, dass Nicola Röttger oft Flohmärkte und Brockenhäuser besucht – und ein gutes Auge hat. Fast zu jedem Gegenstand gibt es eine spezielle Geschichte: So stammt das Glasvordach über dem Eingang von einer inzwischen abgerissenen Villa im Winterthurer Lind-Quartier.
Und die alte Leiter, die als origineller Lichtträger über dem Esstisch hängt, kam im eigenen Waschhäuschen hinter der Tür zum Vorschein – nachdem sie monatelang im Internet nach einer solchen gesucht hatte ...
Geöffnet für modernes Wohnen
Die frühere Struktur des Hauses mit gemeinsamem Treppenhaus und einer Wohnung auf jedem Geschoss wurde aufgebrochen: Betritt man das Haus, öffnet sich rechts anstelle eines früheren Zimmers ein grosszügiges, vorwiegend in Weiss gehaltenes Entree mit einem schwarzglänzend renovierten Gussradiator als Blickfang.
Sehr speziell ist auch der diagonal verlegte, hellgrau-weiss karierte Plattenboden, der indes nur täuschend echt aufgemalt ist. Richtig alte, schöne Platten gibt es hingegen noch im Gang, der geradeaus in die grosse Wohnküche führt. Sie ist aus den beiden Südzimmern entstanden: Während im Wohnbereich das im Fischgratmuster verlegte Parkett erhalten blieb, wurde in der Küche ein neuer Plattenboden mit historisierendem Design verlegt.
Das passt ganz hervorragend zu den modern gestylten Küchenelementen mit ihren gebürsteten Edelstahlfronten beziehungsweise -einfassungen und den anthrazitfarbenen Arbeitsflächen.
Aus der ehemaligen, gefangenen Küche zur Linken des Ganges, wurde ein Medienraum. Auch hier gibt es originelle Gestaltungsdetails zu sehen: An der Decke baumelt ein Lüster, als Salontischchen dient ein alter Palettenwagen. Ihm gegenüber liegt das «Hundezimmer», in dem die beiden Familienhunde ihr eigenes Reich haben.
Clever: Die obere Hälfte der Zimmertür wurde abgesägt, so dass die Hunde bei geschlossener Tür zwar «eingesperrt» (das heisst unter Kontrolle), aber nicht ausgeschlossen sind. Ausserdem fällt dadurch mehr Tageslicht in den Gang. Auch für die gegenüberliegende, ehemalige Küchentür wurde eine kreative Lösung gefunden: Damit kein Platz verloren geht, wurde sie zur Schiebetür umgebaut.
Mut gezeigt und Altes belassen
Das Treppenhaus konnte praktisch unverändert belassen werden, da unter alten Teppichen eine tipptoppe Holztreppe zum Vorschein kam. Die Treppenabsätze behielten ihre alte Funktion: Heute wie damals befinden sich hier, zwischen den Etagen, die WCs. Bloss sind sie nun natürlich viel schöner gestaltet und vor allem: beheizt.
Auch im erstem Obergeschoss wird man von einer offenen Wohnsituation empfangen: Geradeaus befindet sich das Reflexologie-Behandlungszimmer von Nicola Röttger. Dann geht es wieder durch den Gang in die ehemalige Wohnung: Links entstand ein schlicht-modernes Badezimmer in einem wohnlichen Schlamm-Farbton, in dem eine alte Werkbank als origineller Träger für das Lavabo dient.
Gleich vis-à-vis liegt das Ankleidezimmer, in dem alte Wandmalereien zum Vorschein kamen: Ein mit Schablonen ausgeführtes, umlaufendes Stiefmütterchen-Fries sowie Deckenmalereien, die auch im angrenzenden Elternschlafzimmer zu finden sind. Um sie nicht zu beeinträchtigen wurden die entsprechenden Wände alt belassen: «Eine befreundete Restauratorin hat die Malerei nur minimal gepflegt und gesichert», sagt Nicola Röttger.
Das grosse Südzimmer schliesslich dient der Familie Röttger als Büro. Eine in frischem Grün gestrichene Wand setzt einen inspirierenden Akzent. Und natürlich gibt es auch hier viele, originelle Hingucker: Eine alte Spitzmaschine, Setzkasten-Elemente oder ein Plüsch-Bambi unter einer Glasglocke.
Im zweiten Obergeschoss steht ein alter Flipperkasten einladend auf dem Treppenabsatz. Man merkt: Hier haben die beiden jugendlichen Kinder ihr Reich: Hinter der ursprünglichen Wohnungstür ist praktisch alles beim Alten geblieben. Mit vielsagendem Blick und einem Schmunzeln meint Nicola Röttger jedoch, dass man hier wohl besser nicht eintrete.
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