Kolumne StadtverbessererEin Zimmer für sich allein
Das Kantonsspital verabschiedet sich grossteils von den Mehrbettzimmern. Damit ist eine von zwei Bedingungen Virginia Woolfs erfüllt, dass Frauen Weltliteratur schreiben können.

Im Neubau des Kantonsspitals haben die Massenschläge ausgedient. Von den 213 Patientenzimmern haben 150 nur ein Bett. Die geschwätzige Nachbarin, die ständig Besuch hat, oder der grunzende Schicksalsgenosse, der das RTL-Frühstücksfernsehen braucht für seinen Heilprozess, sie werden bald nur ferne Erinnerung sein.
Insassse Brian kämpfte in Pöschwies gegen das Einzelzimmer, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Virginia Woolf nannte es 1929 in ihrem Essay «Ein Zimmer ganz für sich allein» als eine von zwei Bedingungen, unter denen Frauen Weltliteratur schreiben können. Die zweite Bedingung sind übrigens fünfhundert Pfund im Jahr. Eine gewisse Summe Geld brauchte es im Spital auch bisher, wenn man allein liegen wollte; eine Zusatzversicherung nämlich. Nun demokratisiert sich dieser Luxus.
Die zweite Klasse abgeschafft
Es ist ein wenig wie in der Wiener U-Bahn. Als man dort seinerzeit die erste Klasse abschaffen wollte, forderte ein Witzbold, stattdessen doch lieber die zweite Klasse abzuschaffen. So ähnlich scheint es nun in Winterthur gelaufen zu sein.
Die Einzelzimmer haben laut Medienberichten auch alle Südlage und Blick über die Stadt. Der Stadtverbesserer musste an den alten Ostfriesenwitz denken: Warum sind die Busse bei den Ostfriesen 2,5 Meter lang und 10 Meter breit? Weil alle vorn sitzen wollen. Das KSW hat, muss man zugeben, dieses Problem eleganter gelöst.
Michael Graf ist Leiter des Ressorts Stadt Winterthur beim «Landboten», für den er seit 2005 schreibt. Er ist diplomierter Gymnasiallehrer für Englisch und Geschichte.
Mehr InfosFehler gefunden?Jetzt melden.