Erste Tamedia-WahldebatteEine 9-Millionen-Schweiz? «Anspruchsvoll, aber nicht zu verhindern»
Drei Regierungsräte und ein Herausforderer haben sich auf der «Tages-Anzeiger»-Redaktion eine engagierte Debatte geliefert.
In einem Punkt sind sich Jacqueline Fehr, Mario Fehr, Martin Neukom und Peter Grünenfelder absolut einig: Sich zu wehren, ist besser, als die andere Backe hinzuhalten. Es ist eine von mehreren Entweder-oder-Fragen, mit denen Mario Stäuble, Co-Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», die erste von vier Wahldebatten eröffnet.
Ganz anders sieht es bei der Frage «Prinzip oder Kompromiss?» aus: Mario Fehr und Grünenfelder wählen das Prinzip, Jacqueline Fehr und Neukom den Kompromiss.
Ansonsten liefern sich Baudirektor Neukom (Grüne), Sicherheitsdirektor Fehr (parteilos), Justizdirektorin Fehr (SP) und der FDP-Herausforderer Grünenfelder eine engagierte Debatte. Das sind die wichtigsten Themen:

Staat abbauen, Steuern senken?
Grünenfelder muss seine harsche Kritik an der Regierung erklären. «Hört man Ihnen zu, bekommt man den Eindruck, unser Kanton falle auseinander. Ist es wirklich so schlimm?», fragt Mario Stäuble.
Er sei ein Zahlenmensch, erklärt Grünenfelder, und er sehe, dass der Kanton in gewissen Bereichen verliere. So wachse zum Beispiel die Verwaltung überproportional, während die Privatwirtschaft unter dem Fachkräftemangel ächze: «Da haben wir ein Problem, das wir angehen müssen.»
Die Justizdirektorin und der Sicherheitsdirektor halten dagegen. «Natürlich müssen wir ambitioniert sein», sagt Jacqueline Fehr, «aber die Diskussion mit all den Zahlen und Ratings ist sehr abstrakt.» Wichtiger sei, die realen Probleme wie etwa überlastete Spitäler anzugehen.
Mario Fehr erteilt der von Grünenfelder geforderten 10-prozentigen Steuersenkung eine Absage: «Auf den Wahlplakaten lese ich auch von Sicherheit. Aber die Polizei ist sehr personalintensiv. Einen Abbau gibt es nur über meine politische Leiche.»
Zuwanderung bremsen?
Viele Fragen, die von der Leserschaft im Vorfeld und während der Debatte eingehen, drehen sich um die erwartete 9-Millionen-Schweiz, so Moderator Stäuble: «Muss und soll die Schweiz hier auf die Bremse stehen?»
Auch hier sind sich alle vier Kandidierenden einig: Stoppen lässt sich diese Entwicklung nicht. Natürlich sei die Zuwanderung «wahnsinnig anspruchsvoll», sagt Martin Neukom. Gerade in seiner Direktion öffneten sich da auch zahlreiche Widersprüche: «Wir müssen verdichten, den Verkehr ausbauen, aber gleichzeitig Fruchtfolgeflächen erhalten.»
Ein Zuwanderungsstopp hätte aber Auswirkungen, die auch nicht wünschenswert seien. Das zeige sich etwa in Ostdeutschland, wo sich ganze Dörfer zunehmend entvölkern.
Eine Haltung, die alle teilen, ebenso wie Grünenfelders Forderung, die Diskussion zu versachlichen. Man müsse den Menschen vermitteln, dass die Schweiz von der Zuwanderung profitiere. 95 Prozent der Migrantinnen und Migranten kämen der Arbeit wegen. «Wir müssen diese Situation nicht beklagen», sagt Jacqueline Fehr, «sondern gestalten.»
Wie weiter im Asylwesen?
Wenig Raum für Gestaltung bietet aus Sicht von Mario Fehr derzeit das Asylwesen. «Wir sind etwas im Krisenmodus», räumt er ein, «wir müssen schauen, dass alle ein Dach über dem Kopf haben.» Das sei im Moment wichtiger als die Diskussion über eine Ausweitung des Schutzstatus S etwa auf Personen aus dem Iran, wie es die neue Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider angeregt hatte.
Grundsätzlich finde er den Status S für Kriegsflüchtlinge richtig, die wieder nach Hause zurückkehren könnten, so Fehr, aber: «Jemanden in den Iran zurückzuschicken, ist aber praktisch unmöglich.»
Jacqueline Fehr, als Justizdirektorin für die Integration zuständig, ergänzt, entscheidender sei, dass Flüchtlinge arbeiten könnten: «Selbst wenn die Personen nachher wieder in ihre Heimat zurückkehren, hilft es ihnen, wenn sie ihre Fähigkeiten auch hier einsetzen konnten.»
Feuerwerk verbieten?
Dass sich nicht alle Zuwanderer wie erhofft integrieren, das bestreitet Mario Fehr nicht. Trotzdem sieht er keine Gefahr, dass sich in Zürich Silvesterkrawalle wie in Berlin ereignen: «In Berlin gibt man ganze Quartiere auf – es ist klar, dass dann alles den Bach runtergeht.» Was Zürich besser macht? «Mit einem konsequenten Polizeieinsatz haben wir alles, was hätte passieren können, im Keim erstickt.»
Für ein Feuerwerkverbot ist übrigens niemand von den vier Kandidierenden zu haben, obwohl die beiden Fehrs ebenso wie Neukom mit Böllern nichts anfangen können. «Aber verbieten? Nein.»
Die drei weiteren Debatten finden am Dienstag-, Donnerstag- und Freitagabend statt. Sie werden auf den Websites des «Tages-Anzeigers» und der «Zürcher Regionalzeitungen» live übertragen; ein Best-of und die Aufzeichnungen sind später online abrufbar.
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