Eine Schnapsidee gibt ein Comeback
Die Stadtpolitik produzierte diese Woche ein bemerkenswertes Déjà-vu: Weil in Winterthur angeblich zu wenige neue Wohnungen im gehobenen Segment gebaut würden, müsse die Stadt handeln, gab der CVP-Stadtpräsident am Montag bekannt.

Die Stadt ermittelte mehrere Grundstücke im öffentlichen Besitz, die sich für den Bau von Wohnungen für sehr gut und noch besser Verdienende eignen. Den teuren Wohnungen sollen gute Steuerzahler folgen; denn die fehlen Winterthur, das in der Steuerkraft klar unter dem kantonalen Mittel zurückbleibt.
Die Logik dahinter, das wissen eingesessene Winterthurer, ist alles andere als neu. In den 2000er-Jahren wurde eine ähnliche Wohnbaupolitik schon einmal verfolgt, damals unter einem SP-Stadtpräsidenten. Völlig zu Recht wurde sie später korrigiert. Denn damals wie heute gilt: Steuerpolitik über den Wohnbau betreiben zu wollen, ist eine Schnapsidee – aus mehreren Gründen.
1. Es bringt nichts. Zwar ist es gut möglich, dass die Stadt für ihre Grundstücke am Obertor (wo heute noch die Stadtpolizei ist) und im Heiligberg (wo die Stadtgärtnerei einen Standort betreibt) Investoren findet, die hochwertig bauen. Und es ist auch kein Wunschdenken, dass diese attraktiven Lagen die erwünschten Steuerzahler anziehen. Doch das alles wird am Finanzhaushalt der Stadt nichts ändern. In Neubauwohnungen ziehen oft Ortsansässige, die zuvor unter ihren finanziellen Verhältnissen gelebt haben. Dieser Effekt setzt sich bisweilen nach unten fort, und die effektiven Neuzuzüger sind dann doch keine guten Steuerzahler. Aber selbst mit vielen Dutzend Gutverdienern mehr wird die Steuerkraft unter dem kantonalen Mittel zurück und Winterthur im Finanzausgleich bleiben, wenn nicht gerade Milliardäre ihren unverstellten Blick auf den Zürichsee gegen die Lichtung im Heiligberg tauschen.
Die Anstrengungen münden für Winterthur am ehesten in einem Nullsummenspiel. Denn mit dem Finanzausgleich hebt der Kanton die Steuererträge finanzschwacher Gemeinden auf 95 Prozent des kantonalen Mittels, wer sich unterhalb dieser Grenze verbessert, bekommt entsprechend weniger Geld aus dem Umverteilungstopf. Zugespitzt: Die Stadt würde ihre «Sahnegrundstücke» los, nur um die wohlhabenden Gemeinden im Kanton zu entlasten.
2. Es ist politisch unerwünscht. Die Abstimmung über den Verkauf des Zeughausareals im Herbst 2013 machte es klar: Eine Mehrheit will nicht, dass die Stadt ihre vergleichsweise geringen Landreserven für den Bau privater Hochpreiswohnungen hergibt. Zustimmung beim Volk fand hingegen ein Jahr später ein Rahmenkredit über 10 Millionen Franken, mit dem die Stadt via Darlehen den gemeinnützigen Wohn- und Gewerbebau fördern soll. Beide Voten zeigen, mit welcher Skepsis die Bevölkerung den privaten Wohnungsmarkt sieht, in dem die Preise nicht nur in Zürich und Genf explodiert sind und immer mehr zu einer sozialen Entmischung beitragen. Gerade der Mittelstand, der trotz Kinderabzügen seinen Teil zum öffentlichen Haushalt beiträgt, empfindet die Immobilienpreise in den Zentren als hoch und das Angebotals prekär – und zwar spätestens, wenn ein Wohnungswechsel ansteht. Dass mit öffentlichem Land – also mit Volksvermögen – der Bau teurer Wohnungen gefördert werden soll, ist einer Mehrheit schwer zu vermitteln. Daran ändert auch nichts, dass die Mietpreise zuletzt leicht rückläufig waren.
3. Es ist wider die Marktlogik. Der Markt reguliere sich selbst, sagen die Liberalen. Aber er produziere Verlierer, kontern die Sozialisten, darum brauche es staatliche Eingriffe wie die Förderung des gemeinnützigen Wohnbaus. Die Gewinner dagegen brauchen keinen staatlichen Schutz. Ihre Interessen bedient der Markt in eigener Regie. Anders gesagt: In Winterthur entstehen so viele hochpreisige Wohnungen, wie der Markt verlangt. Dass die Investoren zuletzt vorsichtig agieren, hat mit höheren Leerständen im Hochpreissegmentzu tun. Und die generell geringere Nachfrage nach Luxuswohnungen in Winterthur hat strukturelle Gründe ausserhalb des gebotenen Wohnstandards: im Gemeindesteuerfuss, in der fehlenden Seesicht, dem überschaubaren Angebot an hoch bezahlten Arbeitsplätzen. Dass sich an diesem Gefügenichts ändern lässt, musste schon einmal eine Winterthurer Stadtregierung einsehen.
4. Es ist am verkehrten Ort angesetzt. Winterthur hat einen grossen Bestand überalterter Immobilien,die zwar günstig, aber auch in einem schlechten Zustand sind. Diesen Bestand aufzuwerten und einem Mittelstand Raum zu geben, der sich über seine Steuern letztlich selber trägt, das wäre der Wandel, der dem Profil der Stadt entspricht. Die Handlungsmöglichkeiten der Stadt selbst, die mit ihrem eigenen Immobilien-Portfolio auch den Verlierern Raum geben muss, sind freilich sehr beschränkt. Doch findet im Metropolitanraum Zürich ein Stück weit ohnehin eine grossflächige Aufwertung statt, und auf lokaler Ebene ist auch in der Immobilienfirma von Bruno Stefanini dieser Trend zu erkennen.
Das alles heisst nicht, dass im Heiligberg und am Obertor Sozialwohnungen gebaut werden sollen. Dass es an den besten Lagen hochwertigen Wohnraum geben soll, ist an sich ein vernünftiges Ziel, und im Übrigen eines, das auf zwei Wegen umgesetzt werden kann – mit einem privaten Bauträger oder einem gemeinnützigen, der sich an den oberen Mittelstand richtet.
Wenn die Stadt ihre Landreserven freigibt, soll sie das aber aus den richtigen Gründen tun, im Interesse der Siedlungspolitik, von Entwicklung und Verdichtung, und nicht, um auf Umwegen Steuer- oder Finanzpolitik zu betreiben. Und ob es nach Jahren fast ungebremsten Wachstums nötig ist, dass die Stadt ihre wenigen Landreserven opfert, ist zu bezweifeln.
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