Neues Kapitel der LuftfahrtHat der Heli auf dem Mars abgehoben?
Gelingt der erste Flug auf einem anderen Planeten, bereitet das den Weg für Grösseres – vor allem für die Wissenschaft.

Mit dem Helikopter «Ingenuity» («Einfallsreichtum») soll die Geschichte der Luftfahrt um ein Kapitel reicher werden: Am Montag um 9:30 Uhr sollte erstmals ein solches Flugobjekt auf einem anderen Planeten abheben, wenige Meter aufsteigen, eine Drehung absolvieren und nach rund 30 Sekunden wieder landen. Ob das gelungen ist, wird frühestens am Mittag klar, wenn die Signale vom Mars eingetroffen sind.
Eigentlich hätte der kleine Helikopter schon vor mehr als einer Woche seinen Jungfernflug auf dem Mars absolvieren sollen. Doch bei einem Rotorentest am 9. April schlug der Überwachungsalgorithmus Alarm. Wie die US-Weltraumbehörde Nasa mitteilte, war ein Softwareupdate nötig, um die Befehlsfolge beim Start zu justieren. Dann musste die neue Steuerungssoftware sorgfältig geprüft und auf dem Helikopter installiert werden.
Die Nasa vergleicht den ersten Flug auf dem Mars mit den historischen Errungenschaften der Brüder Wright: Am 17. Dezember 1903 brachten die beiden US-amerikanischen Luftfahrtpioniere erstmals eine motorisierte Maschine kontrolliert zum Fliegen.

Ingenuity wurde in den letzten Jahren vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) des California Institute of Technology (Caltech) und der Nasa entwickelt. Am 18. Februar landete der Helikopter zusammen mit dem Marsrover Perseverance im Krater Jezero. Vor rund zwei Wochen setzte Perseverance den Helikopter auf dem Marsboden ab.
«Ein Helikopterflug auf dem Mars ist eine grosse Herausforderung und etwas ganz anderes als auf der Erde», sagt Andreas Riedo von der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie der Universität Bern. «Das hat vor allem mit der Marsatmosphäre zu tun, die mehr als hundertmal dünner ist als die irdische Atmosphäre. Das macht es schwierig, genügend Auftrieb zu erzeugen.» Hingegen erleichtere die geringere Schwerkraft auf dem Mars das Abheben: Sie beträgt nur etwa ein Drittel der Erdanziehungskraft.
Auch die klirrende Kälte und vor allem die grosse Temperaturdifferenz zwischen Tag und Nacht haben ihre Tücken. Während es im Krater Jezero bei Nacht bis zu minus 90 Grad Celsius kalt wird, können Tagestemperaturen die Nullgradgrenze überschreiten. «Das setzt die Elektronik, die Batterie, aber auch die Rotoren und andere Bauteile einem enormen thermischen Stress aus», sagt Riedo.
Der Staub sammelt sich überall
«Weniger offensichtlich ist, dass auch der Staub ein Problem darstellt», sagt der Marsexperte Nicolas Thomas, Leiter des Physikalischen Instituts der Universität Bern. «Der Staub sammelt sich überall. Bewegliche Teile wie Motoren können schnell Schaden nehmen.» Damit verknüpft ist ein weiteres Problem: «Bei vielen Marsrovern ist Staub durch elektrostatische Aufladung zum Beispiel an den Rädern haften geblieben», sagt Thomas. «Falls Staub etwa an den Rotorblättern haften bleibt, könnte auch das ein potenziell ernsthaftes Problem für den Helikopter sein.»
Natürlich haben die Entwickler ihre Konstruktion schon auf der Erde marsähnlichen Bedingungen ausgesetzt, einerseits virtuell mithilfe von Computersimulationen, anderseits aber auch real in Vakuumkammern. So zeigte das JPL 2014, dass ein Helikopter in der dünnen Atmosphäre des Mars grundsätzlich abheben kann. 2016 gelang der Nachweis, dass kontrollierte Flugmanöver möglich sind. 2018 erfolgten Tests mit einem Modellhelikopter in der Weltraum-Simulationskammer. Und 2019 wurden Testflüge mit dem Helikopter erfolgreich abgeschlossen, der nun auf dem Mars seine Fähigkeiten unter Beweis stellen soll.

Damit der 1,8 Kilogramm schwere und mit ausgeklappten Beinen rund einen halben Meter hohe Helikopter abheben kann, ist er mit zwei 1,2 Meter grossen, gegenläufigen Rotoren ausgestattet. Diese können mit bis zu 2500 Umdrehungen pro Minute rotieren. Das ist rund achtmal so schnell wie bei einem typischen Helikopter auf der Erde.
Beim Flug ist Ingenuity auf sich allein gestellt
Eine weitere Challenge ist die Kommunikation: Ein Signal von der Erde zum Mars braucht je nach Abstand der Planeten bis zu 20 Minuten. Eine Steuerung des Helikopters mittels Joystick von der Erde aus ist nicht möglich. Daher ist Ingenuity während des Flugs ganz auf sich allein gestellt.
Neben dem ersten Testflug sind innerhalb des kommenden Monats vier weitere Flüge geplant. Der Helikopter kann dabei bis zu 5 Meter hoch über den Marsboden aufsteigen und sich bis zu 50 Meter vom Startpunkt entfernen. Maximal soll ein Flug 90 Sekunden dauern.

Ingenuity selbst wird keine wissenschaftlichen Experimente durchführen. «Es geht allein um die Demonstration, dass Helikopterflüge in der Marsatmosphäre möglich sind», sagt Thomas. «Aber diese Demonstration ist ein wichtiger Schritt. Wir diskutieren schon seit Jahren, für welche unserer Forschungsprojekte Helikopter nützlich wären.»
Thomas hätte Helikopter gern in den Polarregionen des Mars. Dort sind bis zu zwei Kilometer dicke, staubige Eisablagerungen vorhanden, die im Bereich von Mulden oder Abhängen freigelegt sind. «Diese Ablagerungen sind bis zu 14 Millionen Jahre alt und zeigen die Klimageschichte des Mars», sagt Thomas. «Es wäre enorm schwierig, wenn nicht unmöglich, einen Rover dorthin zu bringen. Aber man könnte sich gut vorstellen, mit einem Helikopter an den frei liegenden Schichten entlangzufliegen und für detaillierte Untersuchungen an bestimmten Orten zu landen.»

Riedo könnte sich auch ein Hand in Hand von Rover und Helikopter vorstellen: Der Heli holt ein Messgerät beim Rover ab, landet damit für Untersuchungen am gewünschten Ort und bringt das Gerät zum Laden der Akkus wieder zurück zum Rover. Auch könnte ein Helikopter zunächst den idealen Ort für die Landung eines Rovers auskundschaften, etwa für die Suche nach Lebensspuren.
Parallelen zu den Leistungen der Brüder Wright?
Von der Bedeutung her würde Thomas den Jungfernflug auf dem Mars nicht ganz auf die Ebene der Errungenschaften der Brüder Wright heben. «Ein erfolgreicher Flug von Ingenuity wäre eine ähnliche Demonstration wie 1997, als mit Sojourner erstmals ein kleiner Rover auf dem Mars abgesetzt wurde», sagt Thomas. «Solche Demonstrationen sind wichtig, um herauszufinden, ob man ein Problem unterschätzt hat. Und sie bereiten den Weg für grössere Missionen.»

Riedo indes sieht durchaus eine Parallele zur Geschichte der Luftfahrt: «Schon vor den Brüdern Wright gab es Flugversuche, und man konnte annehmen, dass kontrollierte Flüge möglich sind.» Eine der grossen Leistungen der Brüder bestand darin, ein Steuersystem für kontrolliertes Gleiten entwickelt zu haben. «Damit haben die Brüder Wright demonstriert, dass kontrollierte Flüge tatsächlich möglich sind.» Entsprechend gebe es auf der Erde bereits sehr ausgefeilte Drohnen. «Wir wissen, dass Drohnen oder Helikopter fliegen können. Die Leistung bei Ingenuity besteht darin, die Drohnentechnologie auf die speziellen, extremen Bedingungen auf dem Mars anzuwenden. Wenn das gelingt, bereitet es den Weg für Grösseres.»
Als Glücksbringer haben die Forscher vom Caltech an Ingenuity ein kleines Stück Stoff angebracht: Es ist der gleiche Stoff, mit dem die Brüder Wright die Tragflächen ihres Flugzeugs für den ersten Motorflug bespannten.
Eine Übertragung des Jungfernflugs von Ingenuity kann mit einigen Stunden Verzögerung bei der Nasa oder auf Youtube verfolgt werden. Aktuell ist die Übertragung am Montag ab 12.15 Uhr Schweizer Zeit vorgesehen.
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