Mamablog: Interview mit Kinderpsychologin«Es geht den Betroffenen nicht besser, wenn es uns schlecht geht»
Vielen Eltern fällt es schwer, mit den Ängsten ihrer Kinder bezüglich des Krieges in der Ukraine umzugehen. Célia Steinlin sagt, wie wir ihnen diese nehmen können.

Meine siebenjährige Tochter fragte mich kürzlich beim Einschlafen, ob es diesen Putin «in echt» gäbe. Ich nickte. Sie seufzte und sagte, dann wolle sie jetzt nicht mehr darüber sprechen. Die grösste Sorge meiner elfjährigen Tochter ist die Katze: Sie sorgt sich, dass sie diese nicht in den Luftschutzkeller mitnehmen kann und diese dann entweder verhungert oder von Bomben getroffen würde. Es schaudert sie beim Gedanken daran.
Mich überfordert die aktuelle Situation, ich taumle zwischen Ohnmachtsgefühl, Kopfkino mit «Was-wäre-wenn-Fantasien», tiefem Mitgefühl für die betroffenen Menschen und Dankbarkeit, dass wir (noch) sicher sind. Im Gespräch mit der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Célia Steinlin habe ich wieder etwas Mut gefasst und versuche nun, meinen Kindern in der aktuellen Situation Geborgenheit und Sicherheit zu vermitteln.
Als Eltern ist es eine Gratwanderung, wie viel man den Kindern in der aktuellen Situation zumuten kann und soll. Haben Sie einen Ratschlag, wie man sich am besten verhält und altersgerecht auf die Kinder eingehen kann?
Ich finde es wichtig, das aufzugreifen, was die Kinder von sich aus vorbringen. Als Eltern sollten wir offen für ihre Wahrnehmung sein. Was sind ihre Fragen, Ängste und Vorstellungen? Dabei können wir auch einfach mal zurückfragen. Zum Beispiel: Was denkst du darüber? Wie stellst du dir das vor? So verpasst man weniger, was die Kinder wirklich beschäftigt. Manchmal haben wir das Gefühl, wir müssten so viel erklären. Kinder leben allerdings im Moment und gehen mit Belastungen anders um als wir Erwachsenen, sie denken nicht die ganze Zeit daran, können sich leichter ablenken. Wir sollten versuchen, ihnen nicht zu sehr unsere eigenen Schemen überzustülpen.
Mir gelingt es momentan schwer, mich «normal» zu verhalten und Alltag «zu spielen». Ich möchte aber eine Stütze für meine Kinder sein und sie nicht noch mehr verunsichern. Wie schaffen wir das als Eltern?
Wichtig ist zu unterscheiden, auf was wir Einfluss nehmen können und auf was nicht. Wir sind nicht vom Krieg betroffen und müssen uns nicht schlecht oder schuldig fühlen. Wir sollten unbeschwert und normal leben. Es geht den Betroffenen nicht besser, wenn es uns schlecht geht. Wir sind in Sicherheit. Wir dürfen dafür dankbar sein und uns freuen. Es betrifft und beschäftigt uns zwar, aber wir stecken nicht in dieser Situation. Wir haben die Wahl, mit was wir uns befassen möchten oder was uns zu sehr belastet. Bei den Kindern sollten wir den Filter allerdings etwas feiner justieren. Was möchte man an die Kinder heranlassen und was ist hilfreich? Vorstellungen von schlimmen Dingen, die noch passieren könnten, sind nicht hilfreich. Es sind Fantasien.
«Wir sollten das aufgreifen, was die Kinder beschäftigt und sie nicht mit Infos überfordern, an die sie normalerweise nicht rankommen würden.»
Unsere siebenjährige Tochter möchte nicht über den Krieg und die aktuelle Situation sprechen. Sie sagt, es sei ihr zu viel. Wir versuchen nun, in ihrer Anwesenheit nicht mehr darüber zu reden. Macht das in Ihren Augen Sinn?
Absolut. Es ist sehr wichtig, dass man die Grenzen der Kinder akzeptiert und es ist toll, wenn sie das so sagen kann. Dennoch würde ich ihr signalisieren, dass Sie als Eltern da sind, falls sie doch Fragen hat. Es macht Sinn, dass wir das aufgreifen, was die Kinder beschäftigt und sie nicht mit Infos überfordern, an die sie normalerweise nicht rankommen würden. Aber ich würde auch kein Tabu daraus machen. Man könnte zum Beispiel auch einfach sagen: Ich weiss, du willst es nicht hören, aber es beschäftigt uns und wir können es nicht ganz weglegen. Und sie fragen: Wieso bist du traurig? Was ist es denn, das dir Angst macht.
Und was, wenn man nicht mehr aus diesem negativen «Was-wäre-wenn-Kopfkino» herauskommt?
Es gibt das Beratungstelefon von Pro Juventute für Kinder, Jugendliche und auch für Eltern, die Nummer 147. Da kann man kostenlos per Telefon, Chat oder Mail in Kontakt treten. Auch anonym. Manchmal hilft es, mit einer neutralen Person über ein Anliegen oder über Ängste zu sprechen. Ich finde, lieber einmal zu viel als zu wenig anrufen. In jeder Situation, auch wenn man unsicher ist. Wichtig ist es auch, dass wir als Eltern verstehen, dass es manchmal leichter ist für die Kinder, mit anderen Personen darüber zu sprechen. Wir können sie auch dazu ermuntern, das Gespräch mit der Schulsozialarbeit oder anderen Vertrauenspersonen wie Lehrpersonen, Nachbarn oder Grosseltern zu suchen.
Wenn man als Elternteil merkt, dass man durch die aktuelle Situation sehr belastet ist, nicht mehr schläft oder sogar depressive Symptome aufweist, kann auch das Institut Kinderseele Schweiz für Eltern mit psychischen Problemen weiterhelfen. Sie beraten auch Kinder per Telefon, Chat und Mail.
Was passiert bei den Kindern, wenn sie zu viele schlechte Bilder im Kopf haben? Wenn Ängste und Sorgen dominieren? Wie schaffen wir es, sie zu stärken?
Wir sollten ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen und ihnen Raum geben. Und überlegen, was wir tun können, damit die Sorgen kleiner werden. Je nach Wertvorstellungen kann man zusammen beten, Kerzen anzünden oder spenden. Wenn man die Lösungsansätze ausgeschöpft hat, sollte man aber ganz bewusst das Thema wechseln und die Kinder fragen: Was habt ihr am heutigen Tag Schönes erlebt? Wofür können wir dankbar sein? Auf was freuen wir uns? Ganz allgemein helfen Sport, gemeinsame Erlebnisse und Freunde treffen. Ich finde es sehr wichtig, nicht in einer Schockstarre zu verharren. Wir sollten möglichst viel Alltag und Normalität bewahren. Wir können nichts verändern oder die Situation besser machen. Es ist, wie es ist.
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