LomoEs gibt keine Selbstverantwortung
Unser Kolumnist Johannes Binotto über ein Unwort der Corona-Zeit.

Wiederholt man ein Wort oft genug, beginnt man zu glauben, dass es etwas bedeutet. Ein solches eigentlich irreführendes Wort, das aktuell immerzu wiederholt wird, ist Selbstverantwortung. So appelliert etwa der Bundesrat an die Selbstverantwortung der Bevölkerung bei der Eindämmung der Corona-Pandemie, was von nicht wenigen so verstanden wird, dass sie einfach nur darauf achten sollen, was für sie selber am besten sei.
Worum es aber bei den Appellen tatsächlich geht, ist nicht «Selbst-», sondern ganz einfach Verantwortung. Wer von Verantwortung spricht, spürt sofort, dass dabei nicht nur er oder sie selber, sondern auch andere im Spiel sind. Das macht schon ein Blick auf die Etymologie klar: In der Verantwortung steckt nämlich nicht umsonst «Antwort» drin – ein Wort, das selber zusammengesetzt ist aus den Begriffen «Wort» und dem Vorsatz «Ant-» was «Gegen» bedeutet (denken Sie an «Antagonist» oder «anti-autoritär»; auch das ent- in «entgegen» oder «enttäuscht» hat denselben Ursprung).
Eine Antwort ist also buchstäblich ein Gegen-Wort: Es bedeutet, dass nicht nur mein Wort gilt, sondern auch die Ant-Wort des Gegenüber. Und «Verantwortung» bedeutet schliesslich, dass wir aus diesem Dialog niemals aussteigen können, sondern in diesen eingespannt sind, ob uns das nun passt oder nicht. Verantwortung haben bedeutet, dass mein Verhalten eben nie nur mich selbst betrifft, sondern mich immer auch in Dialog mit den anderen stellt.
Wenn ich in der Schweiz ein T-Shirt für sieben Franken kaufen kann, hat das eben nicht nur mit meinem Portemonnaie, sondern auch mit den Arbeitsbedingungen von Näherinnen in Bangladesh zu tun, und wenn ich mit dem Flugzeug nach Spanien fliege, hab ich auch mit Erdölraffinerien und Kerosinpreisen, mit Umweltbelastung und Tourismusarbeitsplätzen zu tun. Solch komplexe Verantwortungszusammenhänge anzuerkennen, ist anstrengend, ich weiss. Nur gehen sie nicht weg, wenn wir tun, als gäbe es sie nicht.
Und erleben wir sie nicht gerade? Führt uns ein globales Virus nicht gerade vor, wie alle und alles miteinander zusammenhängen und eben nicht nur ein Problem ist von einzelnen Länder oder von sogenannten «Risikogruppen» (auch so ein Unwort)? Es gibt keine Selbstverantwortung, sondern immer nur Verantwortung – egal, wie unbequem wir das finden.
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