Grosskonzerne in der EUJetzt kommt der Pranger für Steuer-Vermeider
Ein Meilenstein soll es sein: Multis in der EU werden künftig gezwungen, Gewinne und Steuern für jedes Land auszuweisen. Wirtschaftsvertreter sind entsetzt.

Wie viel Steuern zahlen grosse multinationale Konzerne überhaupt? Die Frage ist bisher nicht immer leicht zu beantworten. Neue EU-Regeln sollen das ändern.
Es soll wirken wie eine Art Pranger: Grosse Konzerne in der Europäischen Union müssen voraussichtlich ab 2023 öffentlich machen, wie viel Steuern sie in jedem Staat zahlen. Von diesen neuen Regeln, auf die sich Vertreter der EU-Institutionen jetzt nach fünf Jahren Streit geeinigt haben, erhoffen sich Befürworter einen echten Fortschritt gegen gewitzte Steuersparmodelle mancher Firmen.
Das Rezept lautet nun also:
Multinationale Unternehmen mit weltweit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz müssen nicht nur den Finanzämtern, sondern auch der Öffentlichkeit Einblick geben.
In einem länderbezogenen Bericht sollen sie unter anderem die Nettoumsätze, Gewinn vor Steuern und die tatsächlich gezahlten Ertragssteuern veröffentlichen.
Auch Mitarbeiterzahl und Tochterfirmen sollen transparent werden.
Die Daten sollen für alle EU-Staaten aufgeschlüsselt werden, ebenso für die Staaten auf der «schwarzen» und der «grauen» EU-Liste der Steueroasen.
Das würde Einblick geben, wie Steuersparmodelle funktionieren. Einige grosse Unternehmen nutzen Ableger und komplizierte Firmengeflechte, um Gewinne in Länder mit möglichst niedrigen Steuersätzen zu verschieben und so Steuern zu vermeiden. Das geschieht innerhalb der EU, aber auch weltweit.
Kampf gegen Steuersparmodelle
Die strengeren Regeln für Firmen, die in mehreren Ländern innerhalb und ausserhalb der EU Steuern zahlen, sollen Steuersparmodellen entgegenwirken. Laut Schätzungen verlieren die EU-Staaten durch Steuerflucht grosser Firmen jährlich mehr als 50 Milliarden Euro, sagte der portugiesische Wirtschaftsminister Pedro Siza Vieira.
Sein Land hat derzeit den Vorsitz der EU-Staaten inne. Es vermittelte den Kompromiss. In der schweren Zeit nach der Pandemie sei Transparenz wichtiger denn je. «Es ist unsere Pflicht sicherzustellen, dass alle wirtschaftlichen Akteure ihren fairen Anteil zur wirtschaftlichen Erholung beitragen», betonte Vieira.
Oxfam-Kritik: Steuer-Vermeidung via Schweiz trotzdem möglich
Die Organisationen Oxfam und Transparency International zeigten sich in einer ersten Stellungnahme enttäuscht. Sie halten den Kompromiss für zahnlos. Oxfam kritisierte, dass viele Steueroasen nicht auf der EU-Liste stünden und daher einer Überprüfung entgehen würden.
«Die EU-Gesetzgeber haben multinationalen Konzernen viele Möglichkeiten eingeräumt, weiter im Verborgenen Steuern zu hinterziehen, indem sie ihre Gewinne in Steueroasen ausserhalb der EU verlagern, wie die Bermudas, die Cayman-Inseln und die Schweiz», sagte Oxfams Steuerexpertin Chiara Putaturo.
In Deutschland zeigt sich die der mächtige Industrieverband verärgert. Die nur in der EU gültige Offenlegungspflicht sei ein Wettbewerbsnachteil, wettert der BDI schon seit Jahren. Einblicke in betriebswirtschaftliche und steuerliche Daten liessen Rückschlüsse auf Kostenstrukturen, Preispolitik und Gewinnmargen zu. 1200 deutsche Unternehmen seien betroffen. Appelle an die deutsche Bundesregierung, das Unheil zu verhindern, fruchteten allerdings nicht. Mangels Einigkeit enthielt sich Deutschland im Frühjahr im Ministerrat.
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