Corona entblösst SchwächeFür die doppelte Katastrophe hat die Schweiz keinen Plan
Wie soll der Bund vorgehen, wenn es während einer Pandemie zu einer weiteren Katastrophe käme – etwa einem Erdbeben oder Atomunfall? Ein Plan dafür existiert nicht.

Die Schweiz, darin herrscht weitgehend Einigkeit, war mangelhaft auf Corona vorbereitet. Was wäre, wenn während einer Pandemie eine weitere Katastrophe einträte – ein Erdbeben, ein Unfall in einem Kernkraftwerk, ein Strom-Blackout? Eine spezifische Risikoabschätzung für ein solch kombiniertes Szenario hat das zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs) nicht vorgenommen.
Das hat das Bundesamt im Departement von Viola Amherd schon im letzten Frühjahr auf Nachfrage des Vereins «Nie wieder AKW», kurz: NWA Schweiz, mitgeteilt; der Mailverkehr liegt dieser Zeitung vor. Der Verein wollte insbesondere wissen, ob der Bund die Notfallkonzepte, die er für einen AKW-Unfall erstellt hat, an die Covid-19-Vorschriften angepasst habe. Zentral für die Atomgegner ist die Frage: Wie gross ist die Gefahr, dass sich die Pandemie verstärken könnte, wenn sich im Zuge einer Evakuierung die Menschen zwangsläufig näher als empfohlen kämen – etwa in Bussen, Turnhallen oder an Flughäfen.
Dass Massnahmen wie Maskentragen, Handhygiene und Distanzhalten «wohl zumindest temporär angepasst» werden müssten, wie das Babs im Mailverkehr darlegt, genügt dem Verein als Antwort nicht. Deshalb wandte er sich diese Woche direkt an Verteidigungsministerin Amherd. In seinem Brief schreibt der Verein von einer «gefährlichen Unterlassung». Und er fragt, ob die zuständigen Stellen in der Zwischenzeit eine Evakuierungsplanung erarbeitet hätten.

Als Pedanterie Atomkritischer möchte Geschäftsführer Peter Stutz den Vorstoss nicht tituliert sehen: «Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei», sagt er. Und eine neue Pandemie könne jederzeit kommen. Bereits die Notfallplanung für einen Atomunfall ohne Pandemie ist umstritten. Atomgegner haben sie in der Vergangenheit wiederholt als zu wenig detailliert und daher untauglich bezeichnet. Die Bundesbehörden haben diese Kritik stets zurückgewiesen: Der Notfallschutz sei auf sehr hohem Niveau sichergestellt.
«Der Bund soll Szenarien zunächst einmal für die wahrscheinlichste Risikokombination entwickeln.»
Kein Verständnis für die Atomgegner hat Hans-Ulrich Bigler, Präsident des Nuklearforums. Die Bundesverwaltung solle Szenarien zunächst einmal für die laut Babs wahrscheinlichste Risikokombination entwickeln: einer Strommangellage, verbunden mit einer Pandemie. Am 8. Januar dieses Jahr kam es im europäischen Stromversorgungssystem zu erheblichen Störungen. Diese Kombination, folgert Bigler, wäre also «bereits um ein Haar eingetreten».
Weiter nichts ausgearbeitet
So oder so: Spezifische Risikobeurteilungen für solch kombinierte Szenarien hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz seit dem letzten Frühjahr nicht vorgenommen – auch nicht für das Szenario Atomunfall/Pandemie, wie das Amt auf Anfrage bekannt gibt. Entsprechende Pläne dafür gibt es weiterhin nicht.

Es sei zwar richtig, dass Verknüpfungen von verschiedenen Ereignissen für die Akteure des Bevölkerungsschutzes eine besondere Herausforderung darstellen würden, sagt Sprecher Andreas Bucher. Da es allerdings eine erhebliche Anzahl möglicher Kombinationsvarianten gebe, könnten die entsprechenden Risikobewertungen nicht einzeln abgebildet werden.
Für das Bundesamt besteht auch «kein Bedarf», strategische Dokumente wie das Notfallschutzkonzept während einer Pandemie anzupassen. Für die Umsetzung der Evakuierung seien die Kantone verantwortlich, so Bucher. Der Babs-Bericht zur nationalen Risikoanalyse ermögliche, dass unterschiedliche Gefährdungen in Bezug zueinander gestellt werden könnten. «Wir empfehlen daher, dass die so gewonnenen Informationen in die jeweiligen Vorsorgeplanungen einfliessen und in Übungen berücksichtigt werden.»
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