Fussballskandal mit Kuhglocken und Hitlergrüssen
Nach einem Fussballländerspiel zwischen Deutschland und der Schweiz vor 80 Jahren kam es zu Ausschreitungen in Töss. Das Ereignis zeigt die Spannungen in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und dass Fussball mehr ist als ein Sport.

In einer Fraktions-Interpellation im Grossen Gemeinderat bezeichnete die FDP «die Beleidigung fremder Gäste auf Winterthurer Boden» als eine «für unsere Stadt beschämende Tatsache und eine Ungehörigkeit, die nicht geduldet werden darf», und wollte vom Stadtrat wissen, wie er «solchen das Ansehen der Stadt schädigenden Vorfälle» in Zukunft begegnen möchte. Damit reagierte sie auf das Nachspiel der Fussballpartie zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich vom 2. Mai 1937 in Zürich. Auf dem Nachhauseweg wurden die deutschen Fans zwischen Töss und Bahnhofplatz von mehreren Dutzend bis einigen Hundert Passanten wenig gebührlich verabschiedet.
Dreikäsehochs spucken und stampfen
Wie bei derartigen Sportanlässen üblich seien die deutschen Autos und Lastwagen mit den Hoheitszeichen, in diesem Falle Hakenkreuzfahnen, geschmückt gewesen, berichtete der «Landbote» am Folgetag in der Montagsausgabe. «Des Anblicks mochte der eine oder andere nicht besonders froh werden.» So seien die «Gäste aus dem Ausland» von «Schreihälsen mit langanhaltenden Pfui- und Schmährufen empfangen» worden. Als Schuldige wurden «linksgerichtete Leute» aus dem sozialistisch geprägten Arbeiterviertel Töss vermutet, die «in unverantwortlicher und gröblicher Weise» ihre Anstandspflicht verletzt hätten. «Dreikäsehochs und ihre älteren Brüder reckten die Fäuste, gaben Rotfrontrufe von sich, […] gefielen sich sogar darin, den vorbeifahrenden Autocars Hakenkreuzfahnen zu entreissen, die sie anspuckten, zerfetzten und mit den Füssen zerstampften.» Ein sozialdemokratischer Lehrer soll die ganze Aktion angeführt haben. Die «Arbeiter Zeitung» wehrte sich vehement gegen diese Darstellung der Bürgerlichen und bestritt, dass es sich um eine organisierte Demonstration handelte. Sie verwies dagegen auf Provokationen der Deutschen und zitierte die Zuschrift eines Lesers, der von einer «deutschen Invasion» sprach. «Wenn man einen so herausfordert, […] dann muss ein echter Schweizer in Wallung kommen».
Schweizer seien verhöhnt worden
Einen Tag später zog der «Landbote» dann nach und berichtete auch über das Verhalten der «ob ihres Sieges im Fussball-Ländertreffen übermütigen» Deutschen, die während zweier Stunden in einem Tross von rund 4000 Privatautos und Lastwagen die Stadt durchquerten. Diese «konnten sich in ‘Heil-', ‘Sieg Heil-' und anderen charakteristischen Rufen, sowie in Hitlergrüssen und im Schwenken von Handfähnchen mit den Hakenkreuzen aus den Wagenfenstern hinaus nicht genug tun». Zudem sei das Publikum wie bereits die alten Eidgenossen mit Glockengeläut als «Kuhschweizer» verhöhnt worden. Der zuständige Stadtrat Jakob Büchi wehrte sich in seiner Antwort auf die Interpellation auch gegen den Vorwurf, die Polizei hätte darin versagt, Ruhe und Ordnung zu halten. Man sei mit anderen Sportanlässen belastet gewesen und habe nach der ruhigen Hinreise nicht mit derartig heftigen Zusammenstössen gerechnet.
Mit Bomben Anstandbeibringen
Die Vorfälle nach dem Länderspiel zeugen von der aufgeladenen Stimmung in der ganzen Schweiz. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 erlebten faschistische Gruppierungen, sogenannte Frontisten, insbesondere in der Nordschweiz einen enormen Aufschwung. In Winterthur kam es bereits ein Jahr später zu einem gewaltsamen Aufeinandertreffen zwischen Sozialdemokraten und Frontisten in Töss, das als «Fröntlerkrawall» in die Stadtchronik einging. Im Mai 1936 fand auf der Mörsburg der Gautag der Nationalen Front statt, an der mehrere Hundert Rechtsradikale aus der Region teilnahmen und durch die Stadt paradierten. Vor zwei Jahren wurde zudem bekannt, dass der berühmte Winterthurer Lokalhistoriker Hans Kläui ein glühender Nazisympathisant war. Ein frontistenfreundlicher Winterthurer äusserte gegenüber dem Stadtrat anonym die Hoffnung, «dass eines Tages unser nördlicher Nachbar den Winterthurer Lümmeln mit Bomben und Granaten den nötigen Anstand beibringen werde». So verwundert es wenig, dass die Vorfälle an der Zürcherstrasse in dieser aufgeheizten Stimmung als «feindliche Demonstration des Sozialismus gegen den Faschismus» gewertet wurde.
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