23 Franken für alleGenf erhält den höchsten Mindestlohn der Welt
Mit Genf führt der dritte Westschweizer Kanton einen Minimallohn ein. Nun erhöhen die Gewerkschaften in der Deutschschweiz den Druck, dass vor allem Städte die tiefsten Saläre anheben.

Es ist ein Durchbruch. Und ein Signal für die ganze Schweiz. 58 Prozent der Genfer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger votierten am Sonntag für die Einführung eines Mindestlohns. Sobald die Regierung das Gesetz in Kraft gesetzt hat, hat jeder Angestellte das Recht auf 23 Franken Lohn pro Arbeitsstunde. Das entspricht 4182 Franken Monatslohn bei einer 42-Stunden-Woche. Genf bekommt somit den höchsten Mindestlohn der Welt. Gewerkschafter relativieren und verweisen auf die hohen Lebenskosten in der Schweiz.
30’000 Personen oder 10 Prozent der Genfer Arbeitnehmer werden künftig mehr verdienen. Zwei Drittel von den Betroffenen sind Frauen. «Auch Sans-Papiers haben das Recht auf 23 Franken Mindestlohn», betonte Genfs Regierungspräsident Antonio Hodgers (Grüne) am Sonntagabend. Nicht aber die UNO-Mitarbeiter. Deren Arbeitsverträge sind nicht an die Schweizer Gesetzgebung gebunden.
Davide De Filippo, Co-Generalsekretär bei der Gewerkschaft SIT, sah den Abstimmungserfolg kommen, wie er sagt. «Die Leute standen 2018 Schlange, um unsere Mindestlohninitiative zu unterschreiben. In drei Wochen hatten wir mehr als 7000 Unterschriften beisammen, knapp 5000 wären nötig gewesen», erinnert er sich. Die Abstimmung am Sonntag gewannen die Gewerkschaften und die Linksparteien gemäss De Filippo auch darum, weil die Genfer Frauenbewegung dank des Frauenstreiks erstarkt ist und sich dafür einsetzt, dass die Frauen bei den Löhnen nicht länger diskriminiert werden. Und auch die Corona-Krise sensibilisierte die Genfer, weil plötzlich sichtbar wurde, wie viele Leute auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen waren.
2011 und 2014 waren Genfs Gewerkschaften mit Mindestlohninitiativen an der Urne gescheitert. Zum Meinungsumschwung beigetragen hat der Umstand, dass mit Neuenburg und Jura gleich zwei Westschweizer Kantone Mindestlöhne einführten und sich das Bundesgericht dazu äusserte.
Neuenburg
Der Kanton Neuenburg führte 2017 als erster Kanton einen Mindestlohn ein und machte gute Erfahrungen mit dem Instrument. Die Lohnuntergrenze beträgt 19.78 Franken. Die Löhne von 2700 Angestellten, vor allem in Verkaufs- aber auch in Pflegeberufen, lagen darunter und mussten angepasst werden. Es handelte sich um 4 Prozent aller Angestellten im Kanton. Um die Einführung des Mindestlohns zu verhindern, waren Arbeitgeberverbände bis vor Bundesgericht gezogen. Die Verbände monierten, ein gesetzlicher Mindestlohn, der für alle Angestellten gelte, verletze die durch die Verfassung geschützte Wirtschaftsfreiheit. Die Richter in Lausanne sahen dies anders und entschieden, das Gesetz sei eine sozialpolitische Massnahme und ein taugliches Mittel zur Armutsbekämpfung.
Jura
Der Kanton Jura folgte 2018 dem Beispiel seines Nachbarkantons Neuenburg. Die Jurassier beschlossen an der Urne, künftig dürfe niemand mehr weniger als 20 Franken Stundenlohn verdienen.
Tessin
Das Tessiner Kantonsparlament stimmte 2019 einem Mindestlohn zu. Der damalige Beschluss ist jedoch noch nicht rechtskräftig, weil vor Bundesgericht Rekurse dagegen hängig sind. Der Tessiner Mindestlohn soll nächstes Jahr eingeführt werden und zwischen 19.75 und 20.25 Franken betragen.
Basel-Stadt
Im Kanton Basel-Stadt haben Gewerkschaften und Linksparteien im Februar 2019 eine Mindestlohninitiative eingereicht. Sie verlangt ein Minimaleinkommen von 23 Franken. Derzeit befasst sich die Wirtschafts- und Abgabekommission des Grossrats mit dem Anliegen. Die baselstädtische Regierung hat einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der einen Minimallohn von 21 Franken vorschreibt und bewirken will, dass es für Branchen, die Gesamtarbeitsverträge oder Normalarbeitsverträge haben, keinen Mindestlohn gibt. Die Initianten hoffen, dass der Grossrat die Initiative bis Ende Jahr berät und das Volk 2021 darüber abstimmen kann.
Zürich, Winterthur, Kloten
In den Zürcher Städten Zürich, Winterthur und Kloten sind die Gewerkschaften seit Juni daran, Unterschriften für Mindestlohninitiativen zu sammeln. Wie in Genf verlangen die Zürcher Initianten 23 Franken Mindestlohn. Gemäss Lorenz Keller von der Gewerkschaft Unia kommt die Unterschriftensammlung trotz Corona-Schutzmassnahmen gut voran. Er hofft auf Abstimmungen im kommenden Jahr, aber spätestens 2022. Es dürfe nicht sein, dass die Leute in den Städten arbeiten müssen, aber wegen zu tiefer Löhne angesichts der hohen Lebenskosten da nicht leben können, sagt Lorenz Keller.
«Die Anstmacherei der Patrons vor Stellenverlusten zieht nicht mehr.»
«Wir hoffen, dass die Mindestlohninitiativen auch in Deutschweizer Kantonen und Städten auf Anklang stossen», sagt der Genfer Gewerkschafter Davide De Filippo. Seine Zuversicht ist gross. In seinem Kanton habe sich gezeigt: «Die Angstmacherei der Patrons, dass mit Minimallöhnen Stellen verloren gehen, zieht nicht mehr», so De Filippo.
Fehler gefunden?Jetzt melden.