Gezerre um Naturheilkunde an der Uni
Die Uni Zürich hat etwas, was in Europa einzigartig ist: einen unabhängig finanzierten Lehrstuhl für Naturheilkunde. Weil der jetzige Stelleninhaber pensioniert wird, sucht sie seit Monaten einen Nachfolger. Die Berufungskommission ist im Dilemma.
Auf Ende Januar wollte sich Professor Reinhard Saller pensionieren lassen. Er ist der erste Inhaber des Lehrstuhls für Naturheilkunde, der 1994 an der Uni Zürich geschaffen wurde. Der Lehrstuhl ist in Europa einzigartig, weil er nicht von Heilmittelfirmen finanziert wird. Dies verschafft ihm Renommee und macht ihn begehrt. Die Uni gleiste die Nachfolgesuche für den aus Deutschland stammenden Saller früh auf. Sie schrieb die Stelle aus und pflückte aus den 15 Bewerbungen die fünf Interessantesten heraus. Das Quintett durfte sich an einer öffentlichen Veranstaltung im letzten August an der Uni präsentieren, was bei Berufungen üblich ist. Alles verlief nach Plan, bis es im Herbst zu einem Eklat in der Berufungskommission kam. Ein prominentes Mitglied der Kommission, Edzard Ernst, emeritierter Professor für Alternativmedizin in Exeter (GB), kritisierte via die «Süddeutsche Zeitung» das Verfahren und eine der Kandidatinnen. Weil Ernst die Schweigepflicht verletzt hatte, musste er die Kommission verlassen, was er aber aus Protest ohnehin tun wollte. Saller macht weiter Der Aufruhr brachte das Berufungsverfahren ins Stocken. So wird aus der geplanten Pensionierung von Professor Saller nichts. Er macht mindestens ein halbes Jahr weiter. Gregor F. Lüthy, Sprecher des Unispitals, bestätigt, dass Saller interimistisch Leiter des Instituts für Naturheilkunde bleibt, bis ein Nachfolger gefunden ist. Eine zeitliche Befristung gebe es nicht. An der Zürcher Uni spielt man die Turbulenzen bei der Nachfolgesuche herunter. Ein Berufungsverfahren brauche Zeit. Dass noch niemand berufen worden sei, habe nichts mit irgendwelchen Schwierigkeiten zu tun, heisst es bei der Medienstelle. Wann die Nachfolge beschlossen werde, könne man nicht abschätzen. Eisern schweigt auch der Leiter der Berufungskommission. Täuschen nicht alle Indizien, sind noch immer die fünf Auserwählten vom letzten August im Rennen: Claudia Witt, Benno Brinkhaus, Jost Langhorst, Florian Pfab und Ursula Wolf. Mit Ausnahme von Wolf, die an der Uni Bern lehrt und auf anthroposophische Medizin spezialisiert ist, stammen alle Bewerber aus Deutschland. Anstoss erregt hat beim Kritiker Edzard Ernst die Kronfavoritin Claudia Witt. Aus zwei Gründen: Die Berliner Professorin für Komplementärmedizin sass schon in der Strukturkommission, in jenem Gremium also, das vor der Ausschreibung der Stelle die Ausrichtung des Lehrstuhls festlegte. Als spätere Kandidatin könnte sich Witt so gegenüber den Mitbewerbern einen Vorteil verschafft haben. An der Uni Zürich zuckt man die Schultern. Das Verfahren lasse dies zu, heisst es bei der Medienstelle. Ernst findet diese Regelung aber unhaltbar. An der Uni Exeter jedenfalls, wo er lehrte, ginge das nicht, sagte er in der «Süddeutschen». Auch Andreas Kyriacou, grüner Politiker in Zürich und Mitglied der Schweizer Freidenkervereinigung, findet: «Die Uni Zürich hätte eine solche Konstellation aktiv verhindern müssen.» Zu homöopathiefreundlich? Professor Ernst stellt auch die Qualifikation der Kronfavoritin in Frage. Nach der Analyse von Witts Forschungsarbeiten zur Homöopathie diagnostizierte er eine gewisse Voreingenommenheit für diese. So schreibe Witt der Homöopathie eine positive Wirkung zu, obwohl unklar bleibe, was genau diese Wirkung verursache. Marko Kovic, Präsident der Skeptiker Schweiz (Verein für kritisches Denken), teilt diese Vorbehalte. Allerdings halte Witt im grössten Teil ihrer Arbeiten die kritische Distanz zur Homöopathie ein. Und dort, wo es nicht der Fall sei, habe dies möglicherweise mit ihrer heutigen beruflichen Position zu tun. Witt ist Institutsleiterin an der Charité in Berlin und Inhaberin einer von der Heilmittelindustrie finanzierten Professur. Kovic räumt ein, er könne sich vorstellen, dass Witt sich auf dem unabhängig finanzierten Lehrstuhl in Zürich als fähig erweise, auch die Homöopathie kritisch zu hinterfragen. Witt wollte sich auf Anfrage nicht äussern. Die Wirren um die Kronfavoritin haben die Berufungskommission in ein Dilemma gebracht. Auf der einen Seite hat Witt aufgrund ihrer Qualifikationen und ihres Auftritts beste Chancen für den Job in Zürich. Auf der anderen darf die Uni für diesen renommierten Lehrstuhl nur Leute zulassen, die keinerlei Angriffsfläche bieten. Zumindest was das Verfahren betrifft, ist Witts Kandidatur angreifbar.
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