Adventskalender 16Heissi Schoggi und der aus dem Ärmel geschüttelte Weihnachtsbaum
Die Geschenke unter dem Baum spielten an Weihnachten eine sekundäre Rolle. Viel schöner für mich war die Vorfreude bei einem Getränk, das ich gar nicht mochte.

Als Kind mochte ich Milch nicht besonders. Doch einmal im Jahr bestand das beste Getränk aus heisser Schoggi mit Schlagrahm. Und zwar bei Wartmann in Winterthur. Dort sass ich an Heiligabend mit meinem Vater, dick eingemummelt, die Hände um eine dampfende Tasse geschlungen.
Wir hatten dem Christkind das Haus überlassen müssen. Während meine Mutter auf einer Leiter balancierte, um waghalsig dem Baum eine riesige goldene Sternspitze überzustülpen, stellte ich mir einen feenähnlichen Engel vor, der durchs Wohnzimmer flattert und per Zauberstab einen Weihnachtsbaum aus dem Ärmel schüttelt.
Was uns erwartete, wenn wir zu Hause eintrafen, diente nicht dazu, dieser wunderlich kindlichen Vorstellung Abhilfe zu schaffen: Mein Vater ermahnte mich, im Eingangsbereich zu bleiben, wo ich – das Herz im Hals – angestrengt auf das leise Bimmeln einer Glocke wartete. Nun durfte ich das Wohnzimmer betreten.
Überall brannten Kerzen, auf dem Eichentisch lagen Plätzchen und Mandarinen, im Cheminée knisterte ein Feuer, Mahalia Jackson sang irgendwo «Silent Night» – und dort in der Ecke stand er: der Christbaum, beladen mit rotem Lametta, farbigen Kugeln, kleinen Holzfiguren, silbernen Schokoladen-Tannzapfen und weissem Engelshaar.
Die Geschenke unter dem Baum waren ein schönes Accessoire. Am schönsten für mich war die fantastische Vorfreude auf diesen magischen Moment, den ich mir heute noch ansatzweise vergegenwärtigen kann – wenn ich eine heisse Schoggi trinke.
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