Streit um Bührle-SammlungIsraelitischer Gemeindebund kritisiert das Kunsthaus Zürich
Von «zweifelhaftem Geschichtsbewusstsein» ist die Rede und von «wenig sensibler erneuter Positionierung» von Kunsthaus und Stiftung.

Am Mittwoch haben das Kunsthaus Zürich und die Bührle-Stiftung gemeinsam vor den Medien die Einsetzung eines unabhängigen Expertengremiums angekündigt, das die bisherige Provenienzforschung evaluieren soll. Ansonsten haben die Bührle-Stiftung und die Kunstgesellschaft ihre bisherige Linie verteidigt. In einer Mitteilung vom Donnerstag hat der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) dies scharf kritisiert. Es sei «irritierend und in Teilen erschreckend».
Das Kunsthaus Zürich reagierte mit der Einsetzung dieses Gremiums auf eine Forderung von Kanton und Stadt Zürich, die unter anderem eine unabhängige Evaluation der bisherigen Forschung gefordert hatten.
Es besteht der Verdacht, dass die Bührle-Sammlung auch Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus umfasst, weil Emil Georg Bührle durch Waffengeschäfte während und nach dem Zweiten Weltkrieg zum damals reichsten Mann der Schweiz geworden war. Dabei war der Waffenhändler nicht wählerisch: so lange Nazideutschland militärisch erfolgreich war, liefen die Geschäfte mit Berlin wie geschmiert. Und auch die Gegenseite, die Alliierten, wurde beliefert.
SIG: Verzerrte Darstellung
An der Medienkonferenz von Kunsthaus und Bührle-Stiftung sei «eine teilweise sehr verzerrte Darstellung der historischen Tatsachen präsentiert» worden, schrieb der SIG. Dies sei eine «wenig konstruktive und unnachgiebige Haltung» und für den SIG «erschreckend».
Besonders schwer nachvollziehbar sei das Beharren auf einem Geschichtsbild, das die Ergebnisse der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg, der Bergier-Kommission, in keiner Weise berücksichtige. Dazu gehörten Aussagen des Kunsthauses und der Bührle-Stiftung, in denen die Rolle der Schweiz als bedeutende Drehscheibe von Raubkunst und Fluchtgut relativiert werden.
Es sei allgemein bekannt und mittlerweile historisch aufgearbeitet, dass der Schweizer Staat Jüdinnen und Juden und anderen Minderheiten auch in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs zu wenig Sicherheit und Schutz geboten habe. Oft habe die Schweiz sie auch nicht vor dem Tod in von Nazideutschland besetzten Ländern bewahren können. Zusätzlich hat die Schweiz viele Flüchtlinge an ihren Grenzen abgewiesen, und diese so in den sicheren Tod geschickt.
Umso mehr komme gerade deshalb dem Fluchtgut in der Schweiz eine so wichtige Bedeutung zu und müsse jeder Einzelfall, genauso wie es bei Raubkunst gemacht werde, auf seine Provenienz hin untersucht werden, betonte der SIG in seinem Schreiben.
«Keine Nazi-Kunstsammlung»
Mit der Integration der privaten Sammlung E. G. Bührle als Dauerleihgabe ans Kunsthaus war die Debatte um allfällige Raub- oder Fluchtkunst im Herbst neu lanciert worden. In der Folge wurden die ausgestellten Bührle-Bilder mit QR-Codes ergänzt, die direkt zur Herkunftsforschung führen, welche die Sammlung selber betrieben hat.

Diese Forschung kam zu einem klaren Schluss: Bührle habe zwar mit Nazis Geschäfte und Geld gemacht, hielt Lukas Gloor, Direktor der Stiftung Sammlung E. G. Bührle, am Mittwoch fest. «Eine Nazi-Kunstsammlung hat er uns deswegen aber nicht hinterlassen.»
Beim Grossteil der 203 Werke sei restlos geklärt, wer diese wann und wo besessen habe. Bei wenigen bestünden zwar gewisse Lücken, doch deute aus Sicht der Stiftung nichts auf einen Zusammenhang mit Nazi-Raubkunst hin. Laut Gloor handelt es sich um eine Sammlung der 1950er-Jahre: Diese sei auch erstellt worden in der Hoffnung, dass nach dem Zweiten Weltkrieg ein Neuanfang möglich sei.
Das Archiv der Bührle-Stiftung ist nun ans Kunsthaus übergegangen. Das Expertengremium, das eingesetzt wird, solle dieses prüfen, sagte Joachim Sieber, Provenienzbeauftragter des Kunsthauses. Es gehe weniger um Gut und Böse, sondern um historische Tatsachen, meinte Kunsthaus-Direktor Christoph Becker.
mps/SDA
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