Energiewende in EuropaKehrt die EU zur «grünen» Atomkraft zurück?
Die Rolle der Kernkraft sorgt in Glasgow für Streitpotenzial. Frankreich drängt darauf, die Technologie als «nachhaltig» anzuerkennen, andere drohen in diesem Fall mit einer Klage. Diese Fronten haben sich gebildet.

Erkennt die EU die Atomenergie gut zehn Jahre nach der Katastrophe von Fukushima als «grün» an? Diese Frage spaltet in der Endphase der Weltklimakonferenz in Glasgow die Europäer. Frankreich, Polen und sechs weitere östliche EU-Länder drängen die EU-Kommission, Atomstrom wie Erdgas als «nachhaltig» anzuerkennen. Deutschland und Österreich stemmen sich mit einem Rechtsgutachten dagegen und haben ein Bündnis mit weiteren EU-Ländern geschmiedet.
Ohne Atomstrom, so argumentiert Macron, können Frankreich und die EU nicht wie geplant bis 2050 klimaneutral werden. Durch intensive Verhandlungen hinter den Kulissen hat Frankreich laut Brüsseler Diplomaten eine Mehrheit der EU-Staaten überzeugt, dass die Atomkraft Teil der sogenannten Taxonomie sein sollte.
Einstufung als «nachhaltig» käme Empfehlung an die Finanzmärkte gleich
Dabei handelt es sich um einen Rechtstext der EU-Kommission, den Investoren weltweit mit Spannung erwarten. Sollte die Brüsseler Behörde Atomenergie als «nachhaltig» einstufen, käme das einer Empfehlung an die Finanzmärkte gleich, in Atomanlagen zu investieren.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist in einer Zwickmühle. Sie hatte Atom wie Erdgas kürzlich als «stabile», also zuverlässige Energiequellen bezeichnet, solange Europa seinen Strom nicht allein aus Wind, Sonne oder Wasserkraft erzeugen kann. Von diesem Ziel ist die EU noch weit entfernt.
Erneuerbare waren zwar laut Kommission 2020 erstmals die grösste Energiequelle in Europa. Aber sie stehen bisher nur für einen Anteil von 38 Prozent, während fossile Energieträger wie Kohle und Gas auf 37 Prozent kommen und die Atomkraft auf 25 Prozent.
Für die geplante Ampel-Koalition in Deutschland birgt die mögliche Einstufung der Atomenergie als «grün» Sprengkraft, denn darauf könnten sich Gegner des deutschen Atomausstiegs berufen. 2011 hatte die damalige Koalition aus Union und FDP nach der Katastrophe von Fukushima beschlossen, alle deutschen Akw bis Ende des kommenden Jahres abzuschalten.
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