Kolumne StadtverbessererKulturort mit Kindchenschema
Der Jöö-Effekt schlägt manchmal auch bei ganz banalen Dingen zu. Der Kolumnist ist nicht allein mit seiner Faszination für die Miniatur.

«Jöö!», dachte der Stadtverbesserer, als er die Bühnenpläne des Theaters Winterthur für sein renovationsbedingtes Exil 2024/25 studierte. Die gewaltige, 24 Meter tiefe Bühne im Stammhaus wird für eine Spielzeit durch eine Kleinbühne im Kirchgemeindehaus ersetzt, gerade einmal 6 Meter tief. Dass sich der Jöö-Reflex des Schreibenden so stark verselbstständigt hat, dass er schon bei so profanen Dingen wie kleinen Theaterbühnen anschlägt, gab ihm zu denken.
Klassischerweise meldet sich der Jöö-Effekt – für den es kein gutes hochdeutsches Wort gibt – ja eher in Situation wie diesen Mittwoch. Der Joggingkollege, frisch aus dem Vaterschaftsurlaub zurück, fand auf der Suche nach seinen Laufsocken stattdessen eine Babysocke in der Tasche. Jöö! Aber auch ein Haus kann herzig sein. Sonst würden nicht so viele Menschen vom eigenen Tiny House träumen. Dem klitzekleinen Zuhause, der Immobilie mit Kindchenschema.
Herzig, weil klein – geht das auch in Winterthur, der Heimat des 280 Tonnen schweren Hyperkompressors? Aber sicher! Nur wenige Kilometer von Burckhardt Compression entfernt liegt die Volg-Zentrale. Von hier aus wird deren Netz von Kleinstfilialen beliefert. «Wir sind Meister der Puppenstubenlogistik», pflegte der frühere Volg-Chef Ferdinand Hirsig zu sagen, nicht ohne Stolz.
«Kleinvieh macht Mist. Aber eben auch glücklich.»
Grosse Gefühle gibt es auch in kleinen Kulturorten. Noch munziger als die Ausweichvariante des Stadttheaters ist das Zimmertheater Ariane, das gerade einmal 40 Sitzplätze hat. Und im Bistro Portier, diesem sympathisch-klaustrophobischen Büdchen, finden regelmässig Livekonzerte statt.
Die Grossstadt Winterthur, sie hat auch ein Herz fürs Kleine. In einem Wäldchen nahe der Töss wurde vor Jahren eine Haselmausbrücke gebaut, damit der daumengrosse Mini-Nager auch die andere Seite einer Waldstrasse kolonisieren kann. Kleinvieh macht Mist, aber eben auch glücklich.
Ausser es sind invasive Tapinoma-Ameisen, die in Seen an der Hausisolation knabbern. Dann ist es eher ein Nöö-Effekt.
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