Respektlose SelfiesLächeln neben Leichen
Gianni Infantino schoss neben Pelés Sarg ein Selfie. Er ist aber längst nicht der Einzige, der an einem unangebrachten Ort für ein Foto posierte.

Wie kommt man bloss auf die Idee, neben einem aufgebahrten Leichnam in eine Handykamera zu lächeln? Dies muss derzeit Gianni Infantino erklären. Der Fifa-Präsident sah kein Problem darin, bei der Totenwache des verstorbenen Fussballers Pelé für Selfies zu posieren und Fotos zu schiessen.
Dass dies nicht so angebracht sein könnte, realisierte Infantino offenbar erst dann, als ein medialer Shitstorm über ihn hereinbrach. «Ich bin bestürzt, nachdem ich informiert wurde, dass ich offenbar von einigen Leuten dafür kritisiert werde», schrieb er in einem langen Instagram-Post und fügte an, er habe doch nur Pelés Teamkollegen helfen wollen, die nicht gewusst hätten, wie das mit dem Selfie funktioniere.
Er würde «niemals etwas tun, das in irgendeiner Weise respektlos wäre», fuhr er fort und kritisierte jene, die mit dem Finger auf ihn gezeigt hätten. Zu diesem Instagram-Post gab es eine Reaktion in Form von zwei jubelnden Emoji-Händen, anschliessend wurde die Kommentarfunktion deaktiviert.
«Das Posieren an einem Gedenkort ist wenig taktvoll. Darüber sollten Sie mit Ihrem Kind sprechen.»
Wann ist ein Selfie angebracht und wann nicht? Ein kurzer Check im Internet macht klar, dass das Posieren neben einem Sarg zur Kategorie «Deplatziert» zählt. Auf der Ratgeberseite «Elternguide Online» etwa steht im Artikel «Phänomen Selfie» gleich als Erstes der Hinweis: «Das Posieren an einem Gedenkort ist wenig taktvoll. Darüber sollten Sie mit Ihrem Kind sprechen und selbst als gutes Beispiel vorangehen.»
Selbst wenn der Fifa-Präsident keine Einführung in die Selfie-Knigge-Regeln erhalten haben sollte: Mit ein bisschen gesundem Menschenverstand hätte er selbst drauf kommen sollen, dass ein Selbstporträt neben einem Leichnam keine gute Idee ist.
Aber auch wenn nun alle auf Infantino herumhacken: Es gibt zahlreiche weitere Leute, darunter VIPs wie Barack Obama, die nicht wissen, wann es unangebracht ist, auf den Selbstauslöser zu klicken.
Selfie neben dem Sarg der Queen

Keine Frage: Das Begräbnis von Queen Elizabeth II. war ein Jahrhundertereignis, eingefangen von zig offiziellen Kameras. Braucht es da zu Dokumentationszwecken noch ein selbst geschossenes Foto? Auf jeden Fall, dachte sich unter anderem der mexikanische Aussenminister Marcelo Ebrard und posierte mit seiner Frau in der Westminster Hall, wo der Sarg der verstorbenen Queen aufgebahrt war.
Das Selfie stellte er ungeschickterweise auch noch auf Twitter. «Du bist nicht bei einer Geburtstagsparty, Marcelo. Benimm dich entsprechend. Du repräsentierst Mexiko», war eine der vielen empörten Reaktionen auf seinen Tweet. Zuvor hatte sich bereits der armenische Präsident Wahagn Chatschaturjan vor dem Sarg ablichten lassen.
Das erste «berühmteste Selfie der Welt»
Hätten die Herren Infantino und Ebrard die Shitstorm-Berichterstattung seit der Erfindung des Selfies verfolgt, hätten sie wissen müssen, dass es Schlaueres gibt, als bei Begräbnissen die Handykamera zu zücken. Vor allem, wenn diese in aller Welt übertragen werden wie jenes von Nelson Mandela Ende 2013.
Auch Barack Obama, der damalige britische Premierminister David Cameron und die frühere dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning Schmidt erwiesen dem Verstorbenen die Ehre. Und wenn man schon mal so nett zusammensitzt, kann man doch rasch ein Selfie schiessen, dachten sich die drei Regierungsvertreter. Die Presseagentur AFP fing den Moment ein und das unvorteilhafte Bild wurde zum bis dahin «berühmtesten Selfie der Welt» erkoren.
Bestatter wissen es auch nicht besser
Man könnte meinen, dass sich Leute, die beruflich mit dem Tod zu tun haben, in solch delikaten Situationen besonnener verhalten. Aber man hat es ja nicht jeden Tag mit einem so berühmten Verstorbenen wie Maradona zu tun. Da konnten sich drei Männer des mit seiner Leiche betrauten Bestattungsinstituts nicht beherrschen und posierten neben dem offenen Sarg des Argentiniers. Die drei Bestatter sollen daraufhin Morddrohungen erhalten haben.
Kündigung wegen Leichenhallen-Foto

Für den russischen Kriminalpolizeikommandanten Vyacheslav Gorneyev und seine Kollegin Tatyana Purysheva hatte ein Selfie nicht nur einen Shitstorm, sondern auch eine Kündigung zur Folge: Die beiden verloren ihren Job, nachdem sie sich lächelnd in einer Leichenhalle abgelichtet hatten; im Hintergrund waren Verstorbene zu erkennen. Warum sie diesen Moment festhalten wollten, ist nicht bekannt.
2.50 Franken für ein Sarg-Selfie

Vor einigen Jahren machte in Russland ein makabrer Trend die Runde: Eine Social-Media-Gruppe rief zu Selfies an offenen Särgen auf und bot dafür umgerechnet 2.50 Franken. Am Ende des Monats wurde das beste Foto mit 75 Franken belohnt. Ob man die verstorbene Person kannte oder nicht, spielte keine Rolle. Hauptsache, man lächelte auf dem Selfie. Inzwischen ist die pietätlose Gruppe aufgelöst.
Grinsen mit dem Flugzeugentführer
Was würden Sie tun, wenn Ihr Flugzeug von einem Geiselnehmer mit Sprengstoffgürtel entführt würde, der damit droht, alles in die Luft zu jagen? Für den britischen Passagier Ben Innes gab es nur eine richtige Reaktion: den Entführer um ein Foto zu bitten. Dieser willigte auch prompt ein, wie der Bildbeweis zeigt.
«Ich wollte herausfinden, ob seine Bombe echt ist. Zu verlieren hatte ich ja sowieso nichts mehr, also nutzte ich die Chance, einen genaueren Blick darauf zu werfen», begründete Innes die, sagen wir mal, ungewöhnliche Aktion. Er bezeichnete das Foto später als «bestes Selfie meines Lebens». Dieses fand glücklicherweise nicht im entführten Flugzeug ein Ende, weil sich der Geiselnehmer nach sechs Stunden ergab.
Lächeln in Auschwitz

Der frühere Boxweltmeister Jamie McDonnell besuchte vergangenes Jahr das Konzentrationslager in Auschwitz, wo über eine Million Menschen ermordet worden waren. Seine Freundin fand den Ausflug so toll, dass sie breit in McDonnells Handykamera lachte. Dieser kommentierte den Instagram-Post mit den Worten «lovely trip». Inzwischen hat der 35-Jährige die Fotos gelöscht. Bestimmt gibt es unzählige Auschwitz-Selfies mit grinsenden Touristen und Touristinnen.
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