Die grosse Zürcher WahldebatteWer gewinnt die Zürcher Wahlen? Wer schmiert ab? Politik-Profis diskutieren
Stellen Sie Ihre Fragen zu den Zürcher Regierungs- und Kantonsratswahlen. Politologin Sarah Bütikofer und Politgeograf Michael Hermann antworten im Live-Stream.
Am 12. Februar wählt der Kanton Zürich eine neue Regierung und ein neues Parlament. Wer wird gewinnen, wer schmiert ab? Welche Themen dominieren den Wahlkampf, und warum?
Um 18 Uhr suchen Politologin Sarah Bütikofer und Politgeograf Michael Hermann gemeinsam nach Antworten. Hermanns Unternehmen Sotomo hat für diese Zeitung eine Wahlumfrage gemacht.
Stellen Sie der Expertin und dem Experten Ihre Fragen. Wir werden eine Auswahl live in der Sendung thematisieren.
Die Details zur Wahlumfrage
Was Politbeobachter schon lange vermuten, wird durch die Tamedia-Wahlumfrage belegt: Wenn von den sieben Zürcher Regierungsmitgliedern jemand abgewählt wird, trifft es mit hoher Wahrscheinlichkeit Bildungsdirektorin Silvia Steiner.
Und was ebenso deutlich wird: Es gibt nur eine neue Kandidatin, die echte Wahlchancen hat: SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf. Die beiden liegen in der Umfrage gleichauf auf dem 7. Platz. Je 36 Prozent der Befragten würden sie auf ihren Wahlzettel schreiben.
FDP-Herausforderer Peter Grünenfelder erreicht nur einen Wähleranteil von 28 Prozent, der Grünliberale Benno Scherrer sogar nur 25 Prozent. Dass die beiden eher wenig Stimmen machen, deutet darauf hin, dass mindestens sieben Personen das absolute Mehr erreichen werden und es keinen zweiten Wahlgang mehr braucht.
Sollte Seiler Graf tatsächlich auf Kosten von Steiner in den Regierungsrat einziehen, gäbe es in Zürich eine linke Mehrheit – wenn man Ex-Sozialdemokrat Mario Fehr dazuzählt. Immerhin politisiert er in sozialpolitischen Fragen auch nach seinem Parteiaustritt klar links.
Die Umfrage durchgeführt hat das Meinungsforschungs-Institut Sotomo. Geschäftsführer Michael Hermann sieht Silvia Steiner «akut gefährdet». Ihr Problem sei es, dass sie als Mitte-Politikerin nur eine kleine Parteibasis habe und laut der Umfrage von SVP- und FDP-Wählenden nur ungenügend gewählt werde.
«Silvia Steiner könnte zwischen Stuhl und Bank fallen», sagt Hermann. Dazu habe sie das Handicap, Bildungsdirektorin zu sein. Es zeige sich bei kantonalen Wahlen immer wieder, dass Bildungs- oder Gesundheitsdirektorinnen von Amtes wegen besonders gefährdet seien. Hermann: «Diese zwei emotionalen Themen sind stark kantonal verankert.»
Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) muss sich allerdings keine Sorgen um ihre Wiederwahl machen. Sie liegt nur hauchdünn hinter dem Parteilosen Mario Fehr, der in Führung liegt, allerdings nicht mehr so klar wie in der NZZ-Umfrage vom Dezember.
«Rickli ist der Rollenwechsel von der strammen SVP-Nationalrätin zur Zürcher Magistratin geglückt», sagt Hermann. Sie habe in der Corona-Zeit integrativ und nicht extrem gehandelt, zudem habe sie eine sympathische Ausstrahlung.
Auf dem dritten Platz liegt Ricklis Parteikollege, Finanzdirektor Ernst Stocker. Für Hermann ist es bemerkenswert, dass es gleich beide SVP-Kandidierende aufs Podest schaffen. «Da zeigt sich wohl auch ein Rösti-Effekt», sagt Hermann.
Die SVP habe sich bei den Bundesratswahlen deutlich bemüht, nach aussen konzilianter aufzutreten. Auch der SVP-Wahlkampf sei zurückhaltender als in der Vergangenheit. Hermann: «Die SVP ist damit im ganzen bürgerlichen Lager wieder wählbar geworden.»
Deutlich hinter dem Podest liegt Jacqueline Fehr, die bei den Wahlen 2019 noch das zweitbeste Resultat gemacht hatte. Gleich wie FDP-Frau Carmen Walker Späh erreicht sie in der Tamedia-Umfrage einen Wähleranteil von 40 Prozent.
Michael Hermann führt das mässige Abschneiden Fehrs auf deren eher unglücklichen Auftritte in der Corona-Krise und jüngst in der Datenleck-Affäre zurück. Zudem habe Fehr vor vier Jahren massiv davon profitiert, dass damals die linke Wählerschaft durch das Klimathema äusserst gut mobilisiert worden war.
Gut im Feld der Bisherigen hält sich der junge grüne Baudirektor Martin Neukom, der vor vier Jahren überraschend den Sitz des zurücktretenden FDP-Regierungsrates Thomas Heiniger holte. Wie Fehr hatte auch Neukom die ausgezeichnete Mobilisierung der linken Wählerschaft geholfen. In der Tamedia-Wahlumfrage rangiert er nun mit deutlichem Vorsprung vor Jacqueline Fehr an vierter Stelle.
Neukom wird hauptsächlich Stimmen bei Linken und Grünliberalen machen. In der eigenen Parteibasis erreicht er gemäss Wahlumfrage einen sagenhaften Stimmenanteil von 98 Prozent. Einen solchen Wert erreicht niemand nur annähernd.
Mario Fehr: «Der Star von GLP bis SVP»
Erneut an der Spitze liegt der parteilose Mario Fehr, ihn würden 58 Prozent aller Befragten auf den Zettel schreiben. Auffällig ist, dass Sicherheitsdirektor Fehr hauptsächlich von den Bürgerlichen gewählt wird. «Mario Fehr ist der Star von GLP bis SVP», sagt Hermann.
Am meisten Stimmen macht Fehr bei den Mitte-Wählenden mit einem Anteil von 72 Prozent, was nur 6 Prozent hinter dem Wert von Mitte-Regierungsrätin Silvia Steiner liegt.
Für Hermann gibt es in der Schweiz keinen besseren Wahlkämpfer als Mario Fehr. «Er gibt in eigener Sache immer schon ab dem Tag der Wahl wieder Vollgas.» Zudem profitiere er davon, dass vor allem Wählende von SVP und FDP mit seiner Wahl der SP womöglich eins auswischen wollen, weil Fehr mit der SP gebrochen hat.
«Es reicht offensichtlich nicht, ein bunter Vogel zu sein und viel Geld in den Wahlkampf zu investieren.»
Enttäuschend schneidet in der Tamedia-Umfrage der parteilose Hans-Peter Amrein ab, der einen sehr aufwendigen Wahlkampf betreibt und dessen blaue Plakate gegenwärtig im ganzen Kanton zu sehen sind. Er ist zwar fast jeder dritten der befragten Personen bekannt, liegt mit einem Wähleranteil von 9 Prozent aber ganz am Schluss der Rangliste. «Es reicht offensichtlich nicht, ein bunter Vogel zu sein und viel Geld in den Wahlkampf zu investieren», sagt Hermann.
Wirtschaftsliberale Parolen stechen nicht
Kaum eine Wahlchance hat Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder von den Freisinnigen. Für Michael Hermann ist dies erstaunlich. Gemäss der Umfrage ist Grünenfelder kaum bekannter als der parteilose Hans-Peter Amrein.
Der Bekanntheitsgrad von Priska Seiler Graf ist mit 77 Prozent mehr als doppelt so hoch. Sie liegt mit diesem Wert nur knapp hinter den bisherigen Regierungsmitgliedern Silvia Steiner und Martin Neukom (je 80 Prozent). Am bekanntesten ist mit 96 Prozent Natalie Rickli.
Eine nationale Politkarriere sei im Wahlkampf sehr hilfreich und fast Voraussetzung für eine erfolgreiche Wahl, sagt Hermann. Dies zeige sich auch beim kaum bekannten GLP-Kandidaten Benno Scherrer: «Ex-Nationalrätin Chantal Galladé, die Scherrer in der internen Ausscheidung unterlegen war, hätte sicher bessere Chancen gehabt.»
Für das mässige Abschneiden von Peter Grünenfelder sieht Hermann noch einen weiteren Grund als die mangelnde Bekanntheit: «Mit wirtschaftsliberalen Parolen, wie sie Grünenfelder vertritt, kann man die breite Bevölkerung nicht gewinnen.» Das gilt sogar im bürgerlichen Lager. Grünenfelder wird von der FDP gewählt, aber schon bei der SVP sind seine Werte enttäuschend. Nur gerade 35 Prozent der SVP-Wählenden wollen Grünenfelder auf den Zettel schreiben.
Die Expertin: Sarah Bütikofer

Sarah Bütikofer ist promovierte Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Schweizer Politik und Parlamentsforschung. Bütikofer ist Mitbegründerin und Herausgeberin der Onlineplattform DeFacto der Schweizer Politikwissenschaft und Projektpartnerin bei Sotomo. Sie lehrt an der ETH Zürich sowie an den Universitäten Basel und Zürich.
Der Experte: Michael Hermann

Michael Hermann ist Politgeograf und Geschäftsführer des Instituts Sotomo. Ende 2021 hat er einen Stadt-Land-Monitor veröffentlicht. Unter anderem zeigte die Auswertung von Abstimmungsdaten, dass es in der Schweiz zuletzt zu einer massiven Ausweitung des politischen Stadt-Land-Gegensatzes gekommen ist. Hermann ist auch Kolumnist des «Tages-Anzeigers».
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