«Mach weiter und schreib»
Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald hatten sich etwas zu sagen. «Wir sind verdammt lausige Akrobaten. Eine Freundschaft in Briefen» ist eine hoch spannende Lektüre im Feld der klassischen amerikanischen Moderne der Jahre 1925 bis 1940.
Sie muten einander einiges zu, die Herren Hemingway und Fitzgerald, wenn sie in ihren Briefen aneinander ihre literarische Produktion kommentieren. Da merkt F. Scott Fitzgerald im Juni 1926 zu den ersten Seiten von Hemingways «Fiesta» an, sie seien «versnobt», die Geschichte «unkritisch» und «weitschweifig dargelegt», «über die Massen geschwollen», aber damit nicht genug. «Wie ich Dich kenne, würdest Du dergleichen bei anderen als halb Stil, halb Pferdescheisse bezeichnen.» Das geht drei Buchseiten in diesem Stil weiter, und längst hält man es für ausgeschlossen, dass eine Freundschaft so einen Brief überleben könnte, als es schliesslich auch noch heisst: «… Du darfst nicht vergessen, dass Du hier zu neuen Ufern aufbrichst, und dass ich denke, dass Deine Sachen grossartig sind. Du warst der erste Amerikaner, den ich in Europa treffen wollte – und auch der letzte. (Dieser zweite Satzteil ist nur dafür da, den Satz auszubalancieren.)»
Kein Zweifel: Diese zwei Leute haben wirklich etwas miteinander zu tun. Sie verschwenden keine Tinte an höfliche Konversation. Es ist hochinteressant, die unter dem Titel «Wir sind verdammt lausige Akrobaten» – ein Hemingway-Zitat – zusammengefasste Korrespondenz der beiden grossen amerikanischen Schriftsteller von ihrem Kennenlernen 1925 bis kurz vor Fitzgeralds Tod 1940 zu verfolgen. Herausgeber Benjamin Lebert hat die Briefe der beiden Autoren in chronologischer Ordnung zusammengestellt – und die Fitzgeralds erstmalig ins Deutsche übersetzt.
Eine zweifellos gute Idee, die erstens eine Ahnung von dieser Schriftstellerbeziehung vermittelt, und sich zweitens als dialogischer Text spannend liest. Allerdings tun sich mit der Begeisterung auch Fragen – und Frustrationen – auf: Der – wie so oft bei Schriftstellerkorrespondenzen – nur lückenhaft vorliegende Briefwechsel bedürfte eines ausführlichen Fussnotenapparates und viel Hintergrunderklärung, um sich in der Breite seiner Themen zu erschliessen. Viele Aspekte dieses intensiven, zwischen Paris und Madrid, später Illinois, Key West, Baltimore und Hollywood geführten Briefwechsels bleiben – trotz des kleinen Anmerkungsblocks – unverständlich. Wieso war «ganz Frankreich stolz» auf Fitzgeralds «unnachgiebige Haltung in der Zensurfrage»? Was war es für ein «ernsthafter Streit» zwischen ihnen beiden, von dem Hemingway 1929 schreibt, und der – so reimt man sich zusammen – möglicherweise dazu führte, dass es zwischen 1930 und 1934 nur einen einzigen Brief Hemingways und keinen Fitzgeralds gibt?
Viel Begeisterung
In seiner 15-seitigen Einleitung wirft Benjamin Lebert einen frischen, fast reporterhaften Blick auf die beiden bewunderten Schriftsteller, den «schmallippig blonden» sensiblen «Fitz» und den Kraftprotz «Hem», die sich 1925 in der Pariser «Dingo Bar» kennen lernten und von da an «willentlich in den Bann der schöpferischen Kraft des jeweils anderen» gerieten, wie Lebert schön schreibt. Dass er sich von seiner eigenen Freude am «freudvollen, sportlichen und … sehr lustigen Männlichkeitsgebaren» der beiden besessenen Autoren zur Herausgabe der Briefe leiten liess, ist keineswegs falsch. Wenn er aber zu ihrer Deutung eher Zitate von Rilke, Leonard Cohen, Oscar Wilde heranzieht, als die konkreten Lebenssituationen von «Fitz» und «Hem» selbst in diesen Jahren detaillierter zu erzählen, verliert er die Anbindung an die selbst gestellte Aufgabe. Verliert auch, mitunter, die professionelle Distanz: Wenn er etwa Hemingways «Paris – ein Fest fürs Leben» als gut zum Vorle- sen geeignet befindet, «wenn man mit einem Menschen, den man wirklich gern hat, unter einer Bettdecke liegt und sich an ihn schmiegen kann und man so gern bereit dazu ist, daran zu glauben, dass es nichts als Glück bedeutet haben muss, an diesem ‹Fest fürs Leben› teilzuhaben».
Da geht Erkenntnisgewinn auf Kosten von Eitelkeit – oder Naivität– verloren. Denn es bleibt ein Unterschied, ob Fitzgerald und Hemingway einander in ihren Kommentaren zu Werk – und Leben – des anderen zu nahe traten – oder ob ein Herausgeber fast 90 Jahre später jede Distanz in schwärmerischer Begeisterung auflösen möchte.
Nein, ihr Leben war nicht nur ein Fest. Gerade weil es mitunter äusserst hart war, spielen Ermutigungen eine grosse Rolle. «Mach weiter und schreib. Jedenfalls mag ich Dich ungeheuer, und ich hätte gern ab und zu mal die Möglichkeit, mit Dir zu reden.» So Hemingway an Fitzgerald im Mai 1934.
Ernest Hemingway/F. Scott Fitzgerald
Wir sind verdammt lausige Akrobaten. Eine Freundschaft in Briefen. Hg. von Benjamin Lebert. Aus dem amerik. Englisch von Werner Schmitz und Benjamin Lebert. Verlag Hoffmann und Campe 2013. 159 S., Fr. 28.90.
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