Magier, Medium und Maskerade
aarau. Dieter Meier (*1945) ist aus vielen Gründen im Gespräch. Als Sänger der Band Yello feiert er weltweit Erfolge. Das Kunsthaus Aarau zeigt ihn als Performer, Filmer, Zeichner und plastisch gestaltenden Lebenskünstler.
Es geschah (nicht nichts) am 19. März 1970. Aufgebracht waren die Zuschauer durch das Gebaren des damals 25-jährigen Dieter Meier in der Sendung «Kontakt» des Schweizer Fernsehens. Er blickte, nachdem er seine Augen leicht weggedreht und performativ in Szene gesetzt hatte, während einer Minute mit unbewegtem Gesicht in die Kamera. Je 15 Sekunden schwarze Leere vor und nach der Minutensequenz rahmten das eigenwillige Selbstporträt ein, wobei während der ganzen Zeit das Zeitzeichen aus dem Observatorium Neuenburg zu hören war.
Dieter Meier, Ende der 60er-Jahre gleichsam über Nacht mit dem Etikett des Künstlers versehen, war auf Sendung und boykottierte Fragen der Bedeutsamkeit. Passfotogleich «strahlte» er vom Bildschirm. Leicht aufmüpfig sich verweigernd, spürbar die Ironie, den zweiflerischen Tatendrang unter einem Anflug von Eitelkeit versteckend, schauspielernd. Die Selbstdarstellung verband sich mit der Beobachterrolle. Mit der Zeit weitete sich das Setting zu drehbuchartig entwickelten Handlungen.
«War ich immer nur ein Geist?», fragt Meier Jahrzehnte später in einer Zeichnung, die nun in seiner Ausstellung «In Conversation» im Kunsthaus Aarau gezeigt wird, wo gleich zu Beginn auch die Minutenarbeit läuft. Meier bezeichnet sich selbst als Dialogmenschen.
Flüchtige Lebenskunst
Doch Meier wäre nicht Meier – mittlerweile das weltweit bekannte Gesicht des Electropopduos Yello (mit Boris Blank) –, wenn er nicht das dehnbare Bedeutungsfeld von Konversation genüsslich auskosten und unterlaufen würde. Rhizomartige Verflechtungen charakterisieren seine ihm, wie er gern betont, «zugefallenen», «aus dem Chaos» kommenden Hervorbringungen der vergangenen Jahrzehnte. Konsequenterweise erklärt der Multimillionär, der nebenbei auch Rinder züchtet und tagtäglich viele andere Unternehmungen mehr realisiert, seine (künstlerischen) Aktionen des vordergründig und hintergründig Nutzlosen mit Anekdoten.
Von Haus aus privilegiert, standen Meier in jungen Jahren alle Wege offen, um sich in einer konzeptuell geprägten Alltagsatmosphäre einer Lebensgestaltung ohne verwertbare Zielvorgaben zu widmen. Der Gang durch die Ausstellung mit all den Fotoarbeiten, Filmen, dokumentierten Performances, den Musikvideos von Yello, den Knet-, Stein- und Bronzearbeiten, den spontanen Zeichnungen und in Vitrinen ausgelegten Text-Bild-Collagen, die ein Statement pro Tag festhalten, entfaltet eine filmische Aura unterschiedlichster Lebensinszenierungen.
Was sich gleichsam wie eine Art Ästhetik existenzieller Verhaltensweisen manifestiert, scheint den Fussstapfen des Dandyismus entsprungen zu sein und führt wiederholt zu einer prekären Balance zweischneidiger Gleichgültigkeit. Gefangen letztlich in realer Unerfüllbarkeit, verflüchtigt sich die durch Simulation, Spurensuche und Experimentieren zum Ausdruck gebrachte Lebenskunst in der zerstiebenden Virtualität einer Kunstfigur. In den jüngsten, auf Knetfiguren basierenden Fotoarbeiten zeichnen sich Meiers Fingerabdrücke ab. Vielleicht zeigt sich darin eine neu aufflammende Sehnsucht nach Kontaktnahme im tatsächlichen Erforschen von Bewegung und ihrer modulierenden Kraft? Im Bearbeitungszustand reflektiert sich Daseinsnähe.
1969 füllte Meier auf dem Heimplatz vor dem Kunsthaus Zürich während fünf Tagen rund 100 000 Schrauben in Zeitintervallen von 2 Sekunden in Säcke zu je 1000 Stück ab. Was als sinnlose Handlung erschien, schlug sich im Verlauf ihres Vollzugs als prägende Geste nieder. Bedeutsam wurde allein schon die vorgeführte Existenz anderer Umgangsformen. Die zwecklose Handlung deckte im Grunde potenzielle Modalitäten des Denkens auf. Meier, nicht nur ein Dialog-, sondern auch ein ausgeprägter Rhythmusmensch, setzte in der Folge Bewegungsimpulse als Bildgeneratoren ein.
Ironisch und poetisch
Dieser «falsche Magier» fängt keine fliegenden Schüsseln auf und jongliert nicht mit herumschwirrenden Stäbchen. Voller ironischer Poesie sind die Fotoserien «Flying Sculptures» und «Lost Sculptures». Das eine Mal warf Meier allerlei Krimskrams in die himmelblauen Lüfte, das andere Mal bastelte er aus Abfall und Gemüse, Plastik und Holz dem Verfall preisgegebene plastische Organismen. 1976 assistierte ihm die junge Bice Curiger, das mittlerweile wohl bekannteste Schweizer Kunstvermittlergesicht, bei der Demontage eingespielter Gesten.
Was in dieser Ausstellung am meisten berührt, sind vielleicht die Bilder des jungen Dieter Meier, wie er für die kurze Dauer eines Sprungs in der Luft hängt und wie er mit den therapeutischen Ansätzen des Ausdruckstanzes kokettiert. Seine «Stills» wirken wie Eurythmie in der Zwangsjacke.
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