Wie Frau B. Zalando schlägt
Der Enkel hat Geburtstag und wünscht sich, von seiner klugen Mama sanft angeleitet, ein Paar sportliche Schuhe, Grösse 28. Gehorsam lenkt der Nonno seine Schritte zum Fachgeschäft. Dieses hat ein halbes Dutzend Modelle zur Auswahl im Regal.
Der Kauf ist schnell getätigt. Wir haben noch Zeit. Wollte ich nicht schon lange leichte schwarze Sportschuhe anschaffen? Sie schicken mich von der Kinderabteilung hinauf ins Obergeschoss. Dort wartet Frau B. und fragt nach besonderen Wünschen. Klettverschluss, bitte! Ich hasse das Schnüren von Schuhen.
Eigentlich hasse ich ja die ganze Einkauferei. Meine Alltagsschuhe habe ich mir bis jetzt alle paar Jahre gleich in doppelter oder dreifacher Ausführung unter Vorweisung der gebrauchten bisherigen bei der einstigen Nobelmarke aus Schönenwerd geholt. Das war jedes Mal eine ultrakurze Transaktion, aber ein sehr teurer Tag. Doch alle Schuhe hatten einen Klettverschluss. In manchen Dingen bin ich sehr stur.
Wie viele Auswahlsendungen und Zeitverluste wären nötig gewesen, um auf dem angeblich rationelleren Versandweg dasselbe Ergebnis zu erreichen?
Ausserdem gibt es Dinge, die in meinem Leben einfach nicht vorkommen, zum Beispiel Coca-Cola, Nutella, Kaugummi, Tattoos, Science-Fiction-Filme. Und Versandhandel! Ich gehöre zu jenen altmodischen Kunden, welche die Ware anfassen, riechen, spüren wollen, bevor sie kaufen. Okay, bei Druckerpatronen mache ich eine Ausnahme.
Es scheint, als habe Frau B. das alles schon längst gespürt. Sie ist eine perfekte Verkäuferin. Erstens ist sie gut gelaunt, zweitens höflich, drittens balanciert sie geschickt an den beiden Todsünden des Verkäufers vorbei: Hochnäsigkeit und Anbiederung. Ich staune, wie schnell sie mehrere passende Modelle herbeischafft. Also muss sie ihr Sortiment sehr gut kennen.
In einem Punkt ist sie sehr bestimmt: Nach dem Daumendruck auf die Schuhspitze rät sie im Zweifel zur grösseren Grösse. Also weiss sie, wie sich Fuss und Material beim Tragen verändern. Ich fühle mich wohl mit Frau B. und vertraue ihr. «Und wolltest du nicht noch etwas Helles, Leichtes für den Sommer? Schlupfschuhe?» fragt meine Partnerin. Natürlich erfüllt Frau B. auch diesen Wunsch.
Ich gehe unter Hinterlassung von knapp 300 Franken aus dem Fachgeschäft. Der Enkel ist glücklich, auch ich trage die neuen Schuhe mit Vergnügen und rechne aus, wie viele Auswahlsendungen und Zeitverluste am Postschalter nötig gewesen wären, um auf dem angeblich rationelleren Versandweg dasselbe Ergebnis zu erreichen. Wenn es im Verkauf mehr Berufsfrauen wie Frau B. gäbe, müssten sich die Fachgeschäfte keine Sorgen machen.
Karl Lüönd ist Publizist und Journalist in Winterthur.
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