Digitalisierung im GesundheitswesenMit einer Patienten-App gegen den Papierkrieg
Das Kind von Regula und Matthias Spühler brach sich den Arm. Die anschliessende Behandlung im Spital brachte das Winterthurer Ehepaar dazu, das Start-up heyPatient zu gründen.

Terminkärtchen, Formulare, Anleitungen und Berichte – vieles spielt sich bei einem Spitalbesuch immer noch auf Papier ab. Das Winterthurer Start-up heyPatient will das ändern. Mit der App können Patientinnen und Patienten sämtliche Gesundheitstermine für sich und weitere Familienmitglieder organisieren, Dokumente ablegen oder Formulare und Fragebogen ausfüllen. Ausserdem kann sie an Arztbesuche oder Behandlungen erinnern und entsprechende Vorgaben kommunizieren, die für eine erfolgreiche Untersuchung nötig sind.
«Wir haben hier in der Schweiz hochprofessionelles Gesundheitspersonal», sagt Regula Spühler, Co-Gründerin von heyPatient. «Aber der administrative Aufwand ist gross, was Personal und Kosten belastet.» Das Kantonsspital Baden hat ausgerechnet, dass die Administration eines Termins im Durchschnitt 35 Franken kostet. Die digitale Abwicklung dieser Arbeiten soll den Aufwand mindern und den Fachleuten im Spital am Ende mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten lassen. Mit seiner App ist heyPatient bereits Partner von verschiedenen Kliniken wie dem Kantonsspital Baden oder dem Schweizer Paraplegiker-Zentrum.
Nervenaufreibende Administration
Gegründet wurde das Start-up im September 2019 vom Winterthurer Ehepaar Regula und Matthias Spühler. Der Auslöser für die Geschäftsidee war der Armbruch ihres jüngsten Kindes im Frühling des gleichen Jahres. Das Kind wurde im Notfall behandelt und zweimal operiert. «Wir mussten damals unzählige Formulare ausfüllen, Versicherungskarten zeigen, Termine wahrnehmen und Anweisungen für die Nachbehandlung beachten», sagt Regula Spühler. «Und das in einem Moment, in dem wir uns Sorgen um unser Kind machten.» Die Behandlung sei absolut professionell und gut gewesen, der Armbruch folgenlos ausgeheilt. «Aber der administrative Aufwand des Vorfalls kostete uns viel Zeit und Nerven.» Da wünschten sie sich eine App wie heyPatient, deren Entwicklung sie kurzerhand in Angriff nahmen. Nur wenige Monate später stand ein Prototyp.
Unterstützt wurde das Unternehmen von einem Start-up-Förderprogramm von Microsoft. Zweieinhalb Jahre nach der Gründung ist das Team von heyPatient auf 11 Mitarbeitende angewachsen. Seit einigen Monaten bringt es sich auch im vom Bund geförderten Innosuisse-Projekt Shift ein. Dabei erforscht die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) zusammen mit anderen Hochschulen und Industriepartnern bis 2025, wie Spitäler die digitale Transformation umsetzen können.
Datensicherheit hat höchste Priorität
Die Digitalisierung im Gesundheitsbereich bringt eine grosse Herausforderung mit der Datensicherheit mit sich. Denn oft geht es um sensible Patientendaten, die nicht für alle zugänglich sein sollen. HeyPatient arbeitet deshalb mit der Swiss-ID zur Identifizierung, die beispielsweise auch die SBB oder die Post nutzen. «Wir wussten von Beginn an, dass wir die Datensicherheit sauber lösen müssen», sagt Spühler. Skandale wie die leicht zugänglichen Daten auf der Plattform meineimpfungen.ch hätten bisher zwar keinen Einfluss auf ihre Arbeit gehabt. «Aber sie zeigen, wie heikel und wichtig das Thema ist.» Die Nutzerinnen und Nutzer von heyPatient entscheiden selbst, für wen sie welche Daten freigeben. Die Daten selbst sind in der Schweiz, in der Microsoft Swiss Azure Cloud, sicher gespeichert, und eine Datenübertragung erfolgt stets verschlüsselt.
Das elektronische Patientendossier (EPD), das der Bund plant, wird durch heyPatient nicht ersetzt. «Vielmehr bieten wir einen mobilen Zugang an, und dank der digitalen Verbindung mit dem Spital kann man auf wichtige Dokumente im EPD gezielt hinweisen», sagt Spühler. Überhaupt arbeite man bei heyPatient nicht an einer isolierten Lösung. Das Ziel sei, so viele Systeme und App-Lösungen, die schon existierten, sinnvoll zu vernetzen oder zu unterstützen, ohne dass Patientinnen und Patienten verschiedene Apps bedienen müssten. «Wir möchten, dass jeder einfach einen digitalen Zugang zum Gesundheitssystem bekommt und dass Spitäler, Ärzte und Dienstleister Kosten in der Administration sparen können.»
Als Ehepaar erfolgreich
Mit seinem Start-up geht das Ehepaar Spühler einen Weg weiter, den es schon länger eingeschlagen hat. «Für uns ist die Zusammenarbeit selbstverständlich», sagt Regula Spühler. Von 2007 bis 2009 lebte das Paar in Namibia und war dort in der Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich tätig. «Im Job-Sharing», sagt Spühler, denn die Kinder hatten sie kurzerhand mitgenommen, das jüngste wurde dort geboren. Bevor sie nach Afrika gingen, hatten sie mit Eleveneye eine Firma für Unternehmensberatungen gegründet. Nach der Rückkehr im Jahr 2009 vergrösserten sie ihre Beratungsfirma stetig und arbeiteten viel für Spitäler und andere Gesundheitsdienstleister.
«Mein Mann und ich müssen manchmal gar nicht mehr darüber sprechen, wer welche Aufgaben übernimmt, weil wir so eingespielt sind», sagt Regula Spühler. Ihre Stärken liegen im Projektmanagement, den Prozessen, Kundenbedürfnissen und Schnittstellen. Ihr Mann, der aus der Wirtschaftsinformatik kommt, arbeitet stärker am Produkt und an der Technologie. «Wir haben immer Verständnis füreinander, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Firma geht», sagt Spühler. «Und wenn einer mal nicht mehr dran glaubt, die Ziele erreichen zu können, glaubt der andere ganz fest daran und zieht die Sache weiter.» Das sei für sie als Ehepaar bisher immer ein Erfolgsgarant gewesen.
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