SVP spricht von SkandalNationalrat stimmt Impfstoff-Krediten zähneknirschend zu
Lieber zu viele Impfdosen als zu wenige: Diese Strategie trägt die Mehrheit des Nationalrates mit – trotz Fehlern bei der Beschaffung des Impfstoffs.

Die Aufregung war gross: Ungereimtheiten bei den Krediten für die Impfstoffbeschaffung veranlassten die Finanzkommission des Nationalrates, sich am Mittwochmorgen um 6 Uhr zu einer Sitzung zu treffen. Vergangene Woche hatte Gesundheitsminister Alain Berset eine Administrativuntersuchung eingeleitet. Der Verdacht: Das Parlament wurde übergangen, seine Budgethoheit verletzt.
Die Ergebnisse der Untersuchung werden erst im August vorliegen. Doch über Pfingsten hat die Verwaltung Fakten zusammengestellt. Der Bericht zeigt, dass bei der Impfstoffbeschaffung zwar nicht alles optimal lief, wie es Finanzminister Ueli Maurer ausdrückte. Doch die Mehrheit im Nationalrat hielt es für keine gute Idee, aus Protest gegen die nötigen Kredite zu stimmen. Am Ende hiess der Nationalrat die Anträge des Bundesrates gut. Nun ist erneut der Ständerat am Zug.
SVP fordert eine PUK
Im Nationalrat sprach nur die SVP von einem Skandal. «Wir dürfen hier nicht klein beigeben», sagte Sandra Sollberger (BL). «Wenn ich mit meinem Malerbetrieb eine Wand rot statt blau streiche, lächelt man auch nicht einfach darüber hinweg.» Pirmin Schwander (SZ) befand, der Skandal rufe eigentlich nach einer parlamentarischen Untersuchungskommission.
Die Sprecherinnen und Sprecher der übrigen Fraktionen sprachen zwar ebenfalls von Versäumnissen. Die Strategie des Bundesrates bei der Impfstoffbeschaffung trägt die Mehrheit aber mit. Klar verursache diese Kosten, sagte Alex Farinelli (FDP, TI). Doch diese müssten in Relation gesetzt werden zu möglichen Kosten einer weiteren Corona-Welle mit zu wenig Impfstoffen.
Der Bundesrat will gewährleisten, dass die Bevölkerung Zugang zum jeweils wirkungsvollsten verfügbaren Impfstoff hat und Ausfallrisiken einzelner Hersteller minimieren – und hat deshalb bewusst zu viele Impfstoffe reserviert und gekauft. Finanzminister Ueli Maurer plädierte dafür, vorsichtig zu bleiben, «denn wir wissen noch nicht, wie sich die Situation in diesem Herbst und im nächsten Winter entwickelt». Damit stellte sich der SVP-Bundesrat gegen seine eigene Partei.
Eine echte Wahl hat das Parlament nur beim Verpflichtungskredit für Impfdosen für das Jahr 2023. Hier gab es diverse Anträge für Kürzungen. Der Nationalrat folgte schliesslich aber dem Antrag des Bundesrates und stimmte dem Verpflichtungskredit von 780 Millionen Franken zu. Der Bundesrat will 14 Millionen Impfdosen beschaffen. Bei einer Kürzung des Betrages würden die Impfstoffverträge nichtig: Der Bund müsste neue Verträge aushandeln, möglicherweise schlechtere.
Drohende Rechtsverfahren
Beim Nachtragskredit für die Impfdosen des Jahres 2022 hat das Parlament im Grunde keine Wahl: Wenn es diesen nicht bewilligt, wird die Eidgenossenschaft gegenüber den Impfstoffherstellern vertragsbrüchig, und es drohen Rechtsverfahren. Der Nationalrat folgte hier mit 134 zu 51 Stimmen dem Bundesrat. Allerdings geht es um einen geringeren Betrag als angenommen: Die Überprüfung ergab nämlich, dass nicht 314 Millionen Franken nötig sind, sondern lediglich 234 Millionen.
Der Bundesrat hatte im Dezember 2021 entschieden, Optionen für die Beschaffung zusätzlicher Impfstoffdosen für das Jahr 2022 auszulösen. Dabei konnte er sich auf einen vom Parlament bewilligten Verpflichtungskredit abstützen. Mit einem solchen Kredit ermächtigt das Parlament den Bund grundsätzlich, Verpflichtungen einzugehen. Danach muss das Parlament noch der Zahlung zustimmen. Wird ein Vertrag abgeschlossen, für welchen das Parlament der Zahlung noch nicht zugestimmt hat, muss im Vertrag ein Vorbehalt eingefügt werden.
In zwei Fällen konnte sich der Bund nicht auf einen vom Parlament bewilligten Verpflichtungskredit abstützen. Beim Abschluss eines Anfang Mai 2021 unterzeichneten Vertrages wurde zwar ein Vorbehalt eingebaut. Dieser war jedoch bis Ende Mai befristet. Das Parlament bewilligte die Erhöhung des Verpflichtungskredits erst im Juni 2021. Wer dafür verantwortlich ist, soll jetzt mit der Administrativuntersuchung geklärt werden.
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