Aus Spiel wird Ernst
In der Schweiz entwickelt sich Zürich zu einem Zentrum der Computerspielbranche des Landes. Noch ist diese klein – doch sie wächst und erkundet neues Terrain. Immer wichtiger werden Spiele, die für Unternehmen und Organisationen entwickelt werden.
Matthias Sala ist ganz am Anfang dabei gewesen. «Als wir begannen, Spiele zu entwickeln, gab es neben uns vielleicht noch zwei oder drei andere Studios.» Im Jahr 2007 gründete Sala die Gbanga Millform AG – ein Videospielstudio, welches in unmittelbarer Nähe der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) seine Büros bezogen hat. Heute präsidiert Sala den Verband der Schweizer Computerspielentwickler (SGDA) mit bereits 26 Entwicklerstudios. «Die Branche dürfte aber noch wachsen», meint Sala. «Denn immer mehr sitzen heute Generationen in Entscheidungspositionen, die mit Games aufgewachsen sind», sagt er. «Serious Games» Nicht nur die Spieler, die in den 80ern vor den ersten Spielkonsolen sassen, sind gereift – auch die Spiele sind gewachsen, ernsthafter geworden. «Serious Games» finden bei Spielern, Medien und Unternehmen Anklang – also Spiele rund um ernste Themen: Alkoholmissbrauch, Immigration oder Abstimmungsvorlagen. «Papers, Please» ist ein Beispiel, welches kürzlich hohe Wellen schlug: Der Spieler sitzt als Kontrolleur an der Grenze eines autoritären Staates und lässt Einwanderer passieren oder weist sie ab. Videospiele, die etwas vermitteln, vielleicht sogar lehren wollen und trotzdem noch Spass machen: Eine Gratwanderung, meint Sala. «Man darf den Spieler nicht mit erhobenem Zeigefinger abschrecken», sagt er. Auch Gbanga entwickelt Serious Games: In «After Party» wankt der Spieler vom Club nach Hause, muss Hindernissen ausweichen und dabei nüchtern werden, indem er in Quizmanier Stammtischmythen über Alkohol entlarvt. Konzipiert wurde «After Party» gemeinsam mit dem Bundesamt für Gesundheit und der Beratungsstelle für Unfallverhütung. Dass neben Organisationen und Unternehmen auch der Staat Aufträge an Game-Studios vergibt, ist mittlerweile Alltag geworden. Spiele als Marketingmassnahme Diese Auftragsarbeiten sind für viele Schweizer Entwicklerstudios ein wichtiges Standbein. Eigenentwicklungen sind mit Risiko verbunden. Da ist die Szene froh über Aufträge des Wirtschaftsverbandes Economiesuisse, der «Superwilli» für die Kampagne zur Einwanderungsinitiative entwickeln liess. Das Versicherungsunternehmen Mobiliar liess sich von Gbanga im typischen Bleistiftdesign des Unternehmens das Spiel «Pilotifant» basteln. Die Story: Der sprichwörtliche Elefant tobt im Porzellanladen und verursacht Versicherungsschaden – der Spieler mindert den Schaden und darf sich auch ab und an über ein Mobiliar-Angebot auf dem Bildschirm freuen. Dank der stetig wachsenden Nachfrage durch Unternehmen gibt es für die Schweizer Studios viel zu tun. So viel, dass man einander in der kleinen Branche gut Freund ist: «Einen Verdrängungskampf kennen wir nicht», sagt Sala. «Videospiele bieten auch Möglichkeiten zur Spezialisierung.» Familiäre Start-up-Szene Abseits von den internationalen Grosskonzernen wie Ubisoft (der vergangenes Jahr seinen Ableger in Zürich wieder schliessen musste) und Nintendo findet sich in der Schweiz eine starke Start-up-Mentalität. «Viele Softwareentwickler kennt man im Raum Zürich aus dem gemeinsamen Studium», sagt Jeremy Spillmann, Game-Designer bei den Blindflug-Studios und Absolvent des Game-Design-Studiums an der ZHdK. Viele Alumni des einzigen Game-Design-Bachelors der Schweiz gründen eigene Studios – darunter auch Spillmann. Die Blindflug-Studios entstanden als Schwesterfirma aus der Design- und Marketing-Agentur Feinheit, die am Helvetiaplatz in Zürich arbeitet – in Gehdistanz zu den Gbanga-Studios. Nach Auftragsarbeiten im Game-Bereich – unter anderem das Dopingpräventionsspiel «Born to Run» – sollen nun vermehrt Eigenkreationen entstehen. Und auch hier setzt man auf ernste Themen: «Wir wollen Probleme aus der Realität in unseren Spielen erlebbar machen», sagt Spillmann. «First Strike» heisst das Blindflug-Debüt. Der Spieler übernimmt die Kontrolle über eine Nation im atomaren Wettrüsten. Man setzt auf Forschung oder baut unzählige Atomsprengköpfe, droht den Nachbarländern oder sucht Allianzen. Und stets schwebt eine Frage über der Weltkarte: Wer startet den nuklearen Krieg? Auch die Unternehmen der Spielebranche beobachten ihre Nachbarn aufmerksam. Doch der Fortschritt der anderen weckt keine Angst: «Wenn ein anderes Studio Erfolg hat, wächst die Branche und die Akzeptanz von Videospielen steigt», sagt Spillmann.
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