Der grosse Kater
Rachel Matter singt vom Heimweh nach fern. Und Daniel Fueter spielt dazu das Echo. «Café fertig» ist ein sehr schöner Abend mit Liedern nach Texten von Thomas Hürlimann.
«Spiel bitte noch ein bisschen weiter», sagt Rachel Matter, «dann kann ich weiterträumen» – und Daniel Fueter spielt noch ein Stück am Klavier, nicht zu schnell, denn es ist spät geworden an diesem Abend. Aber dieses Lied muss noch sein. «S fehlt no es Lied», das ist die Zugabe zu «Café fertig», der Conférence mit Liedern von Thomas Hürlimann. Der Abend ist so etwas wie die Songversion von «Der grosse Kater», denn die Menschen trinken da manchmal zu viel. Aber auch Bätziwasser hat etwas mit der Hoffnung zu tun, dass das Auf- wachen noch lange nicht kommt. Die Uraufführung dieses Liederabends war 1994 im Theater am Hechtplatz, es sang Kathrin Brenk, die Regie hatte (wie jetzt auch) Christoph Leimbacher. Schon damals spielte Daniel Fueter am Klavier – von ihm sind auch die Liedkompositionen, alles wunderbare Miniatur-Kunstwerke. Eine Exportversion dieser Lieder aus der Schweiz war auch schon in Berlin zu hören. Nun ist der Abend wieder ganz bei uns angekommen, dies mit der Produktion des Theaters Ariane im Waaghaus. Am Dienstag war Premiere. Im Spiegel «Und was äs Café isch, Meeitelti, das hät zwee Wirfilzuckär und ä sevil Bätzi!» – «Café fertig» hat in dieser Fassung einen ganz eigenen Ton, ein ganz eigenes Gesicht bekommen. Rachel Matter spielt die Milly, sie ist eine Kellnerin aus dem Wallis, die sich so ihre Hoffnung auf ein besseres Leben anderswo machte. Zürich ist aber nicht unbedingt die Stadt, in der sich die Träume erfüllen. Also geht Milly wieder zurück, «in mein Wallis», wie sie sagt. Der Grund: Das ist vielleicht die Mutter, die alt geworden ist, oder die Vögel, die vor dem Fenster der Wohnung sitzen. Aber es kann auch der Zürcher Kondukteur sein, der Milly aus der Bahn brachte. Jedenfalls: «Has vergässe», singt Rachel Matter, es ist an diesem Abend das erste Lied. Über die Anfänge kommt Milly nicht hinaus. Denn sie probiert gerne immer wieder etwas Neues. Aber so konkret will das mit den Vorstellungen vom anderen Leben nicht klappen. Milly schaut in den Spiegel, und das Bild, das er zeigt, gefällt ihr gar nicht. Auch die Männer, die da auf ihrem Weg sind, muss Milly ganz schnell vergessen. Es ist das alte Lied. Um Milly geht es nicht allein. Wir schauen mit ihr in den Spiegel einer Zeit. Es gibt da die Reise der Hoffnung, das ist aber die Vorvergangenheitsform – die Zukunft schaut, nüchtern betrachtet, schon nicht mehr so schön aus. Viel Gegenwart ist in den Texten von Thomas Hürlimann, sie zeigen die Möglichkeitsform von Heimat – und ein bisschen hat Martin Suter hier auch mitgeschrieben, was das Heimweh nach Nähe nicht unpräziser macht. Sehnsucht nach mehr Das schönste Liebeslied des Abends heisst: «Du bisch en Öpfelbaum». Dieses Lied sollte viel, viel mehr gesungen werden. Denn damit kann man all das Herz-schenk-Zeugs, das sich im Schwei- zer Liedergut breitgemacht hat, glatt vergessen. Lieber Café fertig. Da sind aber auch die grossen Leerstellen, die zu dieser Sehnsucht nach dem anderen gehören. Die Liebe ist im Fall von Milly und der Schweiz immer ein bisschen inkomplett. Es fehlt etwas. «Fehlsch mer» heisst ein Lied. Die Konsequenz: «Eleige spil i Patience». Und: «Bi so truurig». Es kommt aber noch etwas. «Spiel bitte noch ein bisschen weiter», sagt Rachel Matter zu Daniel Fueter. Und weiterträumen könnten auch wir. www.theaterariane.ch
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