Detailzauber und erzählte Zeit
«Oranje» steht nicht nur für das Königshaus Oranien oder die niederländische Fussball-Nationalmannschaft, «Oranje!» heisst es ab heute auch im Museum Oskar Reinhart.
Zitronenstriptease und Pinselstickerei, Austernglibber und tiefe Blicke, hoher Himmel und niedriger Horizont: Wer sich mit der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts beschäftigt, das als Goldenes Zeitalter in die Geschichte eingegangen ist, wird verführt. Was die Welt an Schönheit und Oberflächenreiz, an verlockender Stofflichkeit, an Weite und Tiefe, belehrend Schönem und Unterhaltsamem zu bieten hat – in den Meisterwerken der holländischen Maler jener 100- jährigen Blütezeit wird er es finden. Und findet es jetzt, wenn auch zahlenmässig beschränkt, in der neuen Sonderausstellung im Museum Oskar Reinhart.
Wer jedoch meint, knapp 60 Bilder seien nicht viel, wird angesichts der Werke rasch eines Besseren belehrt. Denn in dieser Überblicksschau, die auf die Vielfalt und den Reichtum der holländischen Malerei verweist, gibt es kein einziges Bild, das schnell «erledigt» und ausgeguckt ist. Immer wieder wird Zeit erzählt, dauernde, anhaltende und flüchtige Zeit.
Wie ein Spiegel der Natur
Im Zentrum steht die sichtbare Welt. Täuschend echt sollen die Dinge auf der Holzplatte oder der Leinwand erscheinen, ganz naturgetreu. Ein vollkommenes Gemälde sei «wie ein Spiegel der Natur, der die Dinge, die nicht sind, vortäuscht», schreibt der grosse Samuel van Hoogstraten (1627–1678), Rembrandt-Schüler, Kunsttheoretiker und manches mehr. Van Hoogstraten ist in der neuen Ausstellung zwar nicht mit einer seiner faszinierenden Augenbetrügereien vertreten (eines seiner Steckbretter oder Quodlibets ist im Katalog abgebildet), dafür aber als Porträtkünstler mit einem Ganzkörperbildnis. Zusammen mit Pieter Lastmans «Jephta und seine Tochter» ist es das grösste Werk, das in «Oranje!» gezeigt wird.
Dargestellt ist Ferdinand Graf von Werdenberg, Hofkämmerer am Wiener Hof, der 1652 vom fast gleichaltrigen Hoogstraten gemalt wurde. Und als ob er beweisen wollte, dass er bei Rembrandt in die Lehre ging, gerade als der seine berühmte «Nachtwache» schuf, stellt er den Grafen in einer ähnlichen Haltung dar wie Frans Banning Cocq, die zentrale Figur der «Nachtwache». Der so Porträtierte scheint dem Besucher die Hand entgegenzustrecken, wenn dieser, vom Lift herkommend, die Ausstellung betritt und sich gleich dem Grafen gegenübersieht.
Auch die 58 anderen Gemälde, von Pieter Lastman (1583–1633) als ältestem bis Arent de Gelder (1645–1727) als jüngstem Künstler, leuchten dem Betrachter förmlich entgegen; die elfenbeinschwarz gestrichenen Wände liefern den perfekten Hintergrund für die oft reduzierte Farbgebung der Werke, in die einzelne Farben umso schönere Akzente setzen.
Mit van Hoogstraten auf den orange markierten Sockel gehoben findet sich ein Werk von Pieter Claesz (1597/1598–1660), dessen Stilllebenkunst einen immer wieder von neuem zu begeistern vermag – und über die endlos zu philosophieren wäre. Sein «Stillleben mit Früchtepastete, Silbertazza, vergoldetem Deckelpokal und Römer» (1637) war lange Zeit das Aushängeschild des Museums Briner und Kern im Herzen der Winterthurer Altstadt, das – wegen Geld- und Besuchermangel – vor vier Wochen geschlossen wurde. Was die Stiftung Jakob Briner zu bieten hat, zeigt sich nun in grösserem Kontext, wo eine Auswahl an Meisterwerken der Stiftung mit Leihgaben aus dem Kunstmuseum St. Gallen und aus Privatbesitz zu sehen sind.
Claesz’ Stillleben sind komponiert wie Musik, nichts ist dem Zufall überlassen oder dem blossen Effekt geschuldet. Der Betrachter sieht sich vor der gedeckten Tafel, mitten im «Genussprozess»: Pas- tete und Brot sind angebrochen, die Nussschale geöffnet; die Zitrone, wie der Pfeffer bereit, die etwas verdeckten Austern rechts im Bild zu würzen, zeigt sich halb entblösst: im glänzenden Anschnitt, im matten weissen Häutchen und im gelben Geringel der porigen Schale. Bald wird der Anschnitt matt werden, die Weinranke welken, die (Fenster-)Kreuze auf dem Römer – andere Gefässe liegen bereits – mit dem Licht weiterwandern. Nur das Kunstwerk bleibt, mit seiner Erzählung von Schönheit und (mässigem) Genuss, von Wein und Brot und dem, was sich dahinter auch verbergen mag.
Detailzauber und Belehrung
Detailzauber, Anspielungen, unterhaltsame Momente, moralische Belehrung, Ausdruck von Nationalstolz und Identität, Sinnbildhaftes für ein richtiges Leben: Das alles ist es hier zu finden, nicht nur in den Porträts und Stillleben, sondern auch in den Landschaften, der einheimischen Landschaft, die man als Motiv entdeckt hat, der italianisierenden, die die Rom-Fahrer mit nach Hause brachten. Oder in den Marinen mit den so genau gemalten Schiffen, dass man gleich mit ihnen aufs Meer fahren möchte, den Interieurs, den Architekturbildern, den Historienbildern und den mitunter deftigen Genrebildern. Nicht immer weiss der heutige Betrachter, was wie zu lesen ist, ausführliche Bildlegenden helfen ihm weiter. Und natürlich der Katalog mit dem Text von Tabea Schindler (35 Fr.). Fast geschenkt dazu gibt es «Die Kunst des Betrachtens» (2006), worin Peter Wegmann, der sich als früherer Kurator um die Stiftung Briner sehr verdient gemacht hat, deren Werke kommentiert (Kataloge im Kombi 45 Fr.).
Angelika Maass
Oranje! Meisterwerke holländischer Malerei. Museum Oskar Reinhart, bis 5. April 2015. Di bis So, 10–17 Uhr.
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