«Die bürgerliche Wende gibt es nicht»
Der Medienprofi Filippo Leutenegger (FDP) macht der Linken in Zürich das Stadtpräsidium streitig. Er tritt viel angriffiger auf als seine Vorgänger, relativiert zugleich aber überzogene Erwartungen.
Als Kandidat fürs Stadtpräsidium sind Sie jetzt der Bannerträger der angekündigten bürgerlichen Wende in Zürich. Filippo Leutenegger: Die gibt es nicht. Das ist nur ein Schlagwort, eine Wunschschlagzeile der Journalisten. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, unsere liberalen Ideen und Lösungsansätze wieder verstärkt einzubringen. Wir wollen den Bürgerinnen und Bürgern in Zürich Alternativen zeigen zum wachsenden Bemutterungs- und Bevormundungsstaat, der immer mehr kostet. Denn die Rechnung müssen unsere Nachkommen bezahlen. Die «bürgerliche Wende» haben SVP, FDP und CVP nach einem gemeinsamen Treffen als Ziel formuliert. Da wird oft viel hineininterpretiert. Aber bleiben wir doch realistisch. Man konnte sich ohnehin wundern, wie das gehen soll. Diese drei Parteien sind ja weit entfernt von einer Mehrheit. Es geht doch darum, die Konkordanz wiederherzustellen im Stadtrat. Die politischen Kräfte sollten adäquat vertreten sein – wobei die FDP aus Traditionsgründen schon immer etwas mehr Sitze hatte als Wähleranteile. Auf jeden Fall muss aber auch die SVP wieder in der Regierung vertreten sein. FDP und SVP haben sich in vergangenen Wahlkämpfen mehr behindert als geholfen. Wieso sollte die Zusammenarbeit diesmal besser klappen? Ganz einfach: Früher wollte man auf Parteiebene gemeinsam Wahlkampf machen, teilweise mit gemeinsamen Inhalten. Das ist Unsinn. Jede Partei muss für sich kämpfen. Wenn die bürgerlichen Kandidaten aber gemeinsam auftreten, ist das eine sinnvolle, pragmatische Zusammenarbeit. Da die Wende jetzt ja abgehakt ist: Was wäre das bürgerliche Minimalziel? Wer müsste es in den Stadtrat schaffen? Ich natürlich (lacht). Reicht das? Nein, natürlich nicht. Wenn wir vier Kandidaten reinbrächten, wäre das schön. Die beiden Bisherigen Andres Türler (FDP) und , dazu ein SVP-Vertreter. Aber das ist ambitiös. Ob es klappt, hängt auch von den Persönlichkeiten ab. Apropos Persönlichkeit: Hilft es der FDP, dass sie mit Ihnen diesmal einen Kandidaten hat, der den selbstbewussten Auftritt im Scheinwerferlicht sucht und beherrscht? Sogar aus linken Kreisen kommen immer wieder Leute auf mich zu und sagen mir, sie würden mich wählen. Wenn ich sie nach dem Grund frage, sagen sie: «Wir müssen mehr Leute haben, die zupacken wollen und keine Angst haben, hinzustehen.» Das kommt vor, aber man darf es auch nicht überschätzen. Dass Sie sich so in den Vordergrund spielen, könnte auch Ressentiments auslösen . Ihre ausgeschiedene Konkurrentin von den FDP-Frauen etwa kam neben Ihnen kaum zu Wort. Fanden Sie wirklich? Da gibt es jedenfalls keine Ressentiments. Die Präsidentin der FDP-Frauen unterstützt mich. Ich beschäftige mich ja auch mit Themen wie der Kinderbetreuung – das liegt mir sogar speziell am Herzen. Was sagen Sie Leuten, die zweifeln, ob Sie nicht nur den grossartigen Auftritt beherrschen, sondern auch den Atem haben fürs zähe Alltagsgeschäft? Ich war unter anderem 22 Jahre bei der SRG und habe mich da emporgearbeitet bis zum Chefredaktor. Das passiert nicht einfach so. Nein, arbeiten kann ich. Aber wenn man einen strategischen Job hat, muss man vor allem führen können. Auch das ist etwas, was ich gelernt habe. Besonders bei der Sanierung des Medienunternehmens Jean Frey, wo ich auch Stellen abbauen musste. Als Journalist predigen Sie das hartnäckige Suchen nach der Wahrheit. Aber als Politiker wirken Sie nicht wie ein Suchender, sondern wie jemand, der alle Antworten schon hat. Wie lösen Sie diesen Widerspruch für sich auf? Das ist keiner. Wenn ich Journalist bin, versuche ich aus den Politikern rauszukitzeln, was sie wirklich denken. Wenn ich als Politiker auftrete, habe ich eine Analyse der Probleme gemacht. Dann habe ich eine Haltung, zu der ich stehe. Woher nehmen Sie die Gewissheit, für alle Probleme der Stadt Zürich die besseren Lösungen zu haben? Es gibt in der Politik keine Gewissheit. Aber die Erfahrung zeigt, dass sich Muster wiederholen. Wenn eine Stadt in guten Zeiten nicht vorsorgt, ist sie rasch im Elend, wenn es nicht mehr so rund läuft. Zurzeit recherchiere ich, um mir eine Meinung zu bilden. Ich stelle mir auch in der Politik immer erst einmal Fragen. Zu den Stadtfinanzen haben Sie schon eine Meinung: Sie warnen, dass der Stadtrat unbezahlbare sozialpolitische Träume durchboxen wolle. Inwiefern? Wenn man jeder Familie einen Kinderbetreuungsplatz verspricht und eine bezahlbare Wohnung, kostet das Unsummen. Für das subventionierte Kinderbetreuungssystem zahlt die Stadt inzwischen 200 Millionen Franken. Sind solche Betreuungsangebote nicht ein Schmiermittel für die Wirtschaft? Schon. Und ich bin der Letzte, der das Rad zurückdrehen will. Aber man soll das doch bitte intelligenter lösen. Besser als eine ineffiziente Kinderbetreuung neben der Schule wäre eine Halbtagesschule bis drei oder halb vier Uhr. Wenn die Eltern noch eine Nachbetreuung wollen, dann ist das ihre Sache – aber doch keine staatliche Grundaufgabe. Die Schulden der Stadt Zürich sind unter der rot-grünen Regierung trotz allem nicht permanent gestiegen, sondern im Gegenteil bis 2007 sogar gesunken. Die haben lange von den hohen Steuereinnahmen der Vergangenheit profitiert. Sie meinen also, die Verschuldung setze erst jetzt mit Verzögerung ein? Logisch. Das zeigt die Finanzplanung. Sie greifen auch das liebste Wahlkampfthema von Rot-Grün an: den gemeinnützigen Wohnungsbau. Wie kommen Sie darauf, wo doch die Klagen über steigende Mieten ein Dauerthema sind? Es stimmt einfach nicht, dass wir in der Stadt Zürich überall extrem hohe Mietzinse haben. Die gibt es nur auf dem freien Markt. Viele Wohnungen werden aber unter der Hand gewechselt. Günstige Wohnungen werden natürlich erst recht gehortet. Wenn man das Angebot an subventioniertem Wohnraum ausweitet, verknappt dies das Angebot auf dem Markt weiter, und die Preise steigen noch höher. Wer einmal eine subventionierte Wohnung hat, verlässt sie nicht mehr so schnell, während die anderen immer mehr zahlen müssen. Das ist vor allem für den Mittelstand eine zunehmende Ungerechtigkeit. Die forcierte Wohnbauförderung entspricht aber dem Willen der Stimmbevölkerung. Akzeptieren Sie das nicht? Natürlich akzeptiere ich das. Aber ich muss vor den Folgen warnen. Könnte man das System verbessern? Ja, man sollte eine Kontrolle einführen, um zu verhindern, dass Leute auch dann noch in subventionierten Wohnungen sitzen bleiben, wenn sie längst ein besseres Einkommen haben. Da würde Ihre eigene Partei aber aufstöhnen: noch mehr Bürokratie! Ich will sicher nicht mehr Bürokratie. Aber wenn man flächendeckende Wohnbausubventionierung beschliesst, muss man sie auch kontrollieren. Sie klingen wie die wahltaktische Antithese zu ihrem erfolglosen Vorgänger Marco Camin. Statt sich bei Rot-Grün anzubiedern, attackieren Sie. Es geht mir doch nicht nur um Wählerstimmen, sondern um die Zukunft unserer schönen Stadt. Da muss man auch unangenehme Tatsachen ansprechen – ohne Angst, deshalb nicht gewählt zu werden. Ich bin offen und sage, was mir im Innersten Sorge bereitet. Wenn man einen Eiertanz macht, um allen zu gefallen, ist man nicht glaubwürdig. Was wäre, wenn Sie in einen rot-grün dominierten Stadtrat gewählt würden? Kann sich jemand mit Ihrem Geltungsanspruch überhaupt unterordnen? Sicher. Ich muss mich immer wieder unterordnen – das fängt schon zu Hause an (lacht). Und dann gibt es ja immer noch die Kraft der Argumente und das langsame Bohren der Bretter.
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