Die Freundschaft, die wohl keine war
Zum 100. Geburtstag von Alfred Andersch erscheint dessen Briefwechsel mit Max Frisch. Sehr viele Briefe werden da nicht gewechselt, aber der Band ist eine schöne Ergänzung zu Frischs kürzlich erschienenem «Berliner Journal».
Beide waren Schriftsteller, beide hatten Häuser in Berzona (Tessin), beide rauchten Pfeife und teilten sich gelegentlich auch den Tabak. Beiden missfiel – jedenfalls zu Anfang – die «showmanship» von Günter Grass und die besserwisserische Pedanterie von Uwe Johnson. Während Andersch aber nicht nur die beiden Berliner, sondern gleich den ganzen Autorenklüngel – «diesen widerwärtigen Literaturzirkus» – verabscheute, ging Frisch, nachdem er 1973 nach Berlin gezogen war, vielleicht erstmals im Leben so richtig auf im Schriftstellerkuchen. Aber zu dem Zeitpunkt waren er und Andersch schon keine Freunde mehr.
Anlass für den Zwist war ein Text für das «Tagebuch 1966–1971», den Frisch über Andersch verfasst hatte und den er dem Freund zur Begutachtung vorlegte. Er schilderte einen erschreckend banalen Besuch Frischs bei Andersch. Der reagierte tief gekränkt: Sie beide blickten doch nun auf eine zehnjährige Freundschaft zurück, monierte Andersch, sie beide hätten doch eine Geschichte. Aber «Du hast es vorgezogen, anstatt eine Geschichte zu schreiben, eine Momentaufnahme zu knipsen». Und: «Jeder Deiner ach so höflichen Sätze enthält eine falsche Nachricht.»
Man kann Andersch verstehen: Vermutlich freute er sich zu Beginn, dass er in einem Buch des grossen Frisch vorkommen würde. Und dann musste er lesen, dass sie beide gar keine Freunde wären und sich auch nichts zu sagen hätten. Damit war der Mist gekarrt, der Bruch war nicht mehr zu kitten. Statt einen etwas weniger nichtssagenden Text über den Freund vorzulegen – was Andersch vielleicht hoffte –, strich Frisch die Szene einfach. Sein Fehler, schrieb er aus New York, nicht der von Andersch.
Ein Friedensangebot, nämlich einen Text von Andersch in einer amerikanischen Anthologie unterzubringen, beantwortete der Beleidigte trotz zweimaliger Anfrage gar nicht mehr. Bei einer mündlichen Manöverkritik reagierte er kalt und abweisend, wie Frisch notierte. Zwei an Andersch gerichtete grüblerische Briefe schickte Frisch gar nicht mehr ab. Mehr als Post- und Glückwunschkarten wurden danach nicht mehr gewechselt. Ein Scheck über 20 000 Franken, den Frisch an Anderschs Frau schickte, um die durch die schwere Erkrankung von deren Mann entstandene materielle Not zu lindern, wurde nicht eingelöst.
Eine «zweite Freundschaft»?
Eine 17-seitige Laudatio auf Andersch und der Nachruf auf ihn ein Jahr später (1980) sind die letzten Texte des «Briefwechsels» zwischen den beiden Autoren, die sich 1957 kennen lernten, sich aber erst ab 1966 duzten und ab 1972 kaum noch kommunizierten. Dass es wirklich eine «zweite Freundschaft» zwischen den beiden gab, wie Frisch in der Laudatio behauptete, ist durch keine Dokumente belegt.
Noch viel schwerer aber wiegt das Fehlen von Dokumenten aus den Jahren 1965 bis 1970 – der vermutlich intensivsten Phase der Beziehung. Vielleicht, vermutet der Herausgeber Jan Bürger, weil die beiden Nachbarn sich in Berzona besuchen konnten und nicht die Post bemühen mussten. Vielleicht haben die beiden auch einfach Unterlagen aus dieser Zeit vernichtet – Andersch in begreiflichem Zorn, Frisch aus verständlicher Scham. Frisch jedenfalls schrieb Andersch, er habe seit 1966 häufig über ihn «notiert», die Texte aber nicht zur Veröffentlichung würdig gefunden. Auch nicht gerade ein Kompliment.
Jan Bürger (Hrsg.)
«Alfred Andersch, Max Frisch. Briefwechsel». Diogenes-Verlag, Zürich 2014, 192 Seiten, Fr. 28.90
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