Die wahre Tochter Afrikas
Nadine Gordimer hat lange und unerbittlich gegen das Apartheidregime gekämpft. Umso grösser war ihre Enttäuschung über die politische Entwicklung Südafrikas nach der «Wende». Morgen wird sie 90 Jahre alt.
Die Bücher, mit denen Nadine Gordimer gegen das südafrikanische Unrechtsregime der Weissen kämpfte, fielen in ihrer Heimat viele Jahre lang der Zensur zum Opfer und wurden zumeist in England erstveröffentlicht. Die südafrikanische Zeitung «Business Day» konstatierte später zutreffend: «Lange bevor es populär wurde, hat Nadine Gordimer die Apartheid verurteilt.» Nun, in ihrem letzten Roman «Keine Zeit wie diese» (2012), erzählt die inzwischen völlig desillusionierte Autorin von der Vetternwirtschaft der einstigen Helden des ANC – von Korruption, Egoismus und politischer Inkompetenz.
Aber das lebenslange politische Engagement sollte nicht dazu verführen, Nadine Gordimers literarischen Ehrgeiz zu verkennen. Als ihr 1991 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, reagierte sie mit Erstaunen und Zurückhaltung. «Ich hoffe nicht, dass ich diese Auszeichnung für mein Engagement gegen die Apartheid bekommen habe», lautete ihr kritischer Kommentar.
Das entschiedene Eintreten gegen die Apartheid verbindet sie mit ihrem Landsmann J. M. Coetzee, der 2003 von der Stockholmer Akademie ebenfalls ausgezeichnet wurde und zu dessen ersten Gratulanten Nadine Gordimer damals zählte: «Er ist ein guter Freund und ein grosser Schriftsteller.» Wie Coetzee, der inzwischen in Australien lebt, hat auch Nadine Gordimer ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihrer Heimat: «In den 70er-Jahren haben mein Mann und ich darüber nachgedacht, nach Zentralafrika, nach Sambia, auszuwandern. Ich habe immer gesagt, ich bin Afrikanerin und bleibe in Afrika. Aber auch dort wären wir Aussenseiter gewesen. Süd- afrika ist der Ort meiner Wirklichkeit.»
Die Nobelpreisträgerin, die der ANC-Politiker Walter Sisulu als «wahre Tochter Afrikas» bezeichnete, wurde vor 90 Jahren in der Goldgräberstadt Springs bei Johannesburg als Tochter eines jüdischen Juweliers aus Litauen und einer konservativen Engländerin geboren. Dieses familiäre Spannungsfeld bildet auch den erzählerischen Rahmen ihres Romanerstlings «Entzauberung» (1953).
Fiktion beginnt mit Fakten
Die Rassentrennung mit all den daraus resultierenden negativen Facetten hat Nadine Gordimer später als literarisches Sujet immer wieder aufgegriffen, so in «Fremdling unter Fremden» (1958) und dem im deutschen Sprachraum erstmals beachteten Roman «Burgers Tochter» (1981). Dieses Buch hat Nadine Gordimer in einem Interview neben dem «Besitzer» (1989) als ihr Lieblingsbuch bezeichnet. Die späteren umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen nahm sie bereits 1982 in ihrem Roman «Julys Leute» vorweg. Der psychologische Realismus des 19. Jahrhunderts (wie etwa bei Charles Dickens) findet sich in Nadine Gordimers Werken ebenso wieder wie Einflüsse ihrer Vorbilder Robert Musil, Thomas Mann und Max Frisch.
«Fiktion beginnt immer mit den Fakten. Sie erkundet sie, sie beobachtet das Leben von Menschen», hat Nadine Gordimer einmal ihr eigenes literarisches Credo treffend charakterisiert. Und auch im hohen Alter ist sie immer noch eifrig literarisch tätig. 2006 war der (inhaltlich ein wenig überfrachtete) Roman «Fang an zu leben» erschienen, 2008 der Erzählband «Beethoven war ein Sechzehntel schwarz», in dem sie sich mit dem Tod ihres 2001 verstorbenen, langjährigen Lebensgefährten Reinhold Cassirer auseinandergesetzt hat, und im letzten Jahr der bereits erwähnte Roman «Keine Zeit wie diese».
«Hohes Alter allein ist keine Leistung. Was zählt, ist, was man aus den Jahren gemacht hat.» Diese Sätze hatte Nadine Gordimer vor fünf Jahren an Nelson Mandela zu dessen 90. Geburtstag geschrieben. Was beide verbindet, ist neben dem hohen Alter eben ihre beeindruckende Lebensleistung.
Lesetipp:
Nadine Gordimer. Keine Zeit wie diese. Roman. Berlin-Verlag, Berlin 2012, 512 S., Fr. 18.90
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