Eine Chronistin der Gothic-Szene
In der Stiftung Märtplatz lernen und arbeiten Jugendliche, die ihren Weg häufig abseits der gesellschaftlichen Konventionen suchen. Lumina Obscura ist ein Talent in der Ausbildung zur Fotofachfrau. Sie hat ihre Kollegen aus der Gothic-Szene porträtiert.
Die Gothic-Szene sei sehr oberflächlich geworden, erzählt Lumina Obscura. Die schwarze Kleidung, die sie grösstenteils selbst anfertige, kauften Neulinge häufig in Läden. Die Texte der stilprägenden Musik seien im Vergleich zu den 1980er-Jahren flach. «Sisters of Mercy, The Cure oder Bauhaus – die hatten noch was zu sagen», meint die Siebzehnjährige. Heute gehe es inhaltlich oft um Sex und Gewalt. Und die Kleidung sei für viele eben nur eine Verkleidung, wie Fasnacht.
«Cyber-Gothics laufen bunt angezogen herum und machen Party», erzählt sie. Damit würden sie sich immer mehr vom ursprünglichen Gedanken entfernen. Kreativität, Meinungsfreiheit und die Verbundenheit einer grosser Familie, die immer zusammenhält, ist das, was Lumina an dieser Gruppe schätzt. «Es sind Leute, die schlechte Erfahrungen im Leben gemacht haben und Abstand von der normalen Gesellschaft suchen.»
Der jungen Frau mit dem klingenden Künstlernamen fällt es schwer, die Essenz des Milieus zu beschreiben, in dem sie sich bewegt, seit sie 12 ist. «Die Gothic-Szene beinhaltet so vieles; die Kleidung, Poesie, Geschlechtslosigkeit. Männer schminken sich, Frauen rasieren sich den Schädel.» Auch sie spielt äusserlich mit den Gegensätzen. Ihr langes Haar ist teilweise ausrasiert, Piercings setzen viele Hingucker im Gesicht. Das Outfit ist schlicht schwarz und aufreizend zugleich.
Beobachtung mit der Kamera
Im Rahmen ihrer Ausbildung zur Fotofachfrau mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis arbeitet sie an einer Langzeitreportage. Lehrmeisterin Simone Glauser sieht vielversprechende Ansätze bei den Bildern von Lumina Obscura, die erst im 1. Lehrjahr ist. «Nicht ganz zufrieden» ist sie mit der Quantität der Arbeiten der sechsköpfigen Gruppe, die sie betreut. «Es wurde viel über das Projekt nachgedacht, aber weniger produziert», sagt sie. Ganze philosophische Abhandlungen seien entstanden, aber keine Fotos.
Diese Erfahrung ist Alltag in der Stiftung Märtplatz, die zurzeit 30 Menschen von 16 bis 25 Jahren hilft, ihre psychischen oder sozialen Schwierigkeiten konstruktiv zu überwinden. «Unsere Leute haben ihren eigenen Takt», erklärt Märtplatz-Leiter Kuno Stürzinger. Die Lehrangebote werden meist von der IV finanziert. Wenn einmal zwei oder drei Plätze nicht mit zugewiesenen Jugendlichen besetzt seien, werde das Budget schnell knapp. Ein Lehrmeister kümmert sich um zwei Auszubildende, dazu kommt die Administration. 23 Mitarbeitende weist die Stiftung derzeit aus. Die jungen Erwachsenen wohnen einzeln in Wohnungen in der Umgebung. So sollen sie lernen, selbstständig zu leben und für sich zu sorgen. Seit dem Sommer werden in neun Werkstätten wie Schneiderei, Keramik, Theater oder Medien auch Büroassistenten (EBA) und Fachleute für Betriebsunterhalt (EFZ) ausgebildet.
Mit publikumswirksamen Aktionen sucht der Märtplatz Kontakt zu Unterstützern. Sei es der monatliche «A la Carte»-Abend, den die Kochlehrlinge zusammen mit ihren Ausbildnern gestalten, oder das vorweihnachtliche Handwerksatelier Ceramic-Café – der Märtplatz ist produktiv und offen.
Auch Lumina Obscura legt ihre Hoffnung auf eine Ausstellung, die am Ende des Projekts stehen soll. Dass sie später nicht in einem konventionellen Fotoladen arbeiten möchte, weiss sie schon jetzt. Dafür lernt sie in ihrer Freizeit das Tätowieren. «Ich werde aber immer weiter fotografieren», sagt sie überzeugt. «Solange es Leute gibt, die wahrhaftig sind, wird die Gothic-Szene nicht aussterben.»
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